22. Januar 2010

Aktuelles zum Krieg der Dschihadisten (4): Wie Syrien die Kaida unterstützt und wie die Regierung der USA darauf reagiert

In der gerade erschienenen ersten diesjährigen Nummer des Middle East Quarterly untersucht Matthew Levitt, Professor an der Johns Hopkins University's School of Advanced International Studies und Experte für Geheimdienste und Terrorbekämpfung, die Rolle Syriens für den Terror der Dschihadisten.

Terrorismus, schreibt er, ist teuer. Man braucht Geld nicht nur für Waffen und zur Besoldung der Kämpfer, sondern auch zur Bestechung. Man muß versuchen, die einheimische Bevölkerung zu gewinnen; man muß ein Netzwerk unterhalten, das oft Kriminelle, Schmuggler usw. einschließt. Terroristen müssen ausgebildet und indoktriniert werden.

Weiterhin brauchen Terroristen auch Rückzugsräume. Sie benötigen ein Land - mindestens eines -, in dem sie weitgehend unbehelligt Geld sammeln und es verwalten, in dem sie Leitungsstrukturen aufbauen und pflegen, in das sie ihre ausgepowerten Kämpfer zur Regenerierung schicken können.

Wie finanziert sich beispielsweise der Terrorismus der Kaida im Irak? Wo sind seine Rückzugsräume? Levitt zeigt mit vielen Details, daß Syrien eine entscheidende Rolle spielt.



Das gilt erstens für die Finanzierung, für Waffenlieferungen und die Schleusung von Kämpfern in den Irak. Hier spielte das sogenannte "Abu Ghadiyah"- Netzwerk eine wichtige Rolle, genannt nach seinem Anführer Badran Turki Hisham al-Mazidih, Kampfname Abu Ghadiyah.

Im Lauf der Jahre wurden der syrischen Regierung diese Extremisten allerdings zu mächtig; sie sah in deren religiösem Fanatismus zunehmend eine Bedrohung für das eigene, säkulare Regime. Am 26. Oktober 2008 führten US-Truppen eine Kommandounternehmen gegen das Netzwerk durch, bei dem Abu Ghadiyah getötet wurde. Es heißt, daß sie dabei von syrischen Regierungsstellen unterstützt wurden.

Zweitens spielt Syrien eine zentrale Rolle auch bei der Rekrutierung von Kämpfern für die Kaida, die aus diversen Ländern nach Damaskus gelangen und dort oft mit einem syrischen Paß ausgestattet werden.

Ein derartiges Rekrutierungsbüro der Kaida befand sich in Damaskus direkt gegenüber der amerikanischen Botschaft. Als der damalige amerikanische Botschafter in Syrien, Theodore Khattouf, sich darüber bei den syrischen Behörden beschwerte, verschwand das Büro - und wurde auf einem Grundstück neu errichtet, das Eigentum des syrischen Staats ist.

Syrien bleibt weiter das Drehkreuz ("hub") für die Aktivitäten der Kaida im Nahen Osten, schreibt Levitt. Der syrische Staat läßt das nicht nur zu, sondern er beteiligte sich selbst aktiv daran. Gegen Ende des Jahres 2007 wurde beispielsweise Fawzi al-Rawi, ein hochrangiger Funktionär der syrischen Regierungspartei Baath, damit beauftragt, die Kaida im Irak sowohl mit Geld als auch mit Waffen zu versorgen.



Welche Vorteile bringt diese Unterstützung der Kaida Syrien? Zum einen die Schwächung des Irak, eines potentiellen Konkurrrenten um die Vormacht in der Region. Zweitens sind die Aktivitäten der Dschihadisten mit beträchtlichen finanziellen Vorteilen vor allem für die Bevölkerung des Grenzgebiets verbunden. Die Kaida bringt - finanziert durch ihre Geldgeber in reichen Ländern wie Saudi-Arabien - schlicht Geld ins Land.

Andererseits führte unter der Regierung Bush diese Haltung Syriens zu Sanktionen seitens der USA. Der Handel wurde reduziert; Konten wurden eingefroren; syrischen Flugzeugen wurden die Landerechte in den USA entzogen. Angesichts dieser Maßnahmen der US-Regierung zogen sich westliche Firmen aus Syrien zurück; beispielsweise verzichteten sie darauf, sich an der Ausschreibung von Regierungsprojekten zu beteiligen.

Präsident Obama hingegen versucht es auch gegenüber Syrien mit einer "Politik der ausgestreckten Hand". Levitt will nicht ausschließen, daß sie erfolgreich sein könnte und zählt eine Reihe von Maßnahmen auf, die sie umfassen müßte (Entwicklungshilfe für Syrien; Bekämpfung der Korruption in Syrien; diplomatisches Vorgehen mit dem Ziel, die syrische Regierung von den Vorteilen einer prosperierenden Gesellschaft nach westlichem Vorbild zu überzeugen).

Aber für ausreichend hält Levitt eine solche Politik der Anreize doch eher nicht. Er meint, daß zum Zuckerbrot auch die Peitsche geschwungen werden muß; die Peitsche der Sanktionen:
At the end of the day, however, political and diplomatic efforts may fall short, in which case targeted financial sanctions present an attractive option. (...) On their own, sanctions will never solve national security problems, but when used in tandem with other elements of national power in an integrated, strategic approach, they can be very effective.

Am Ende dürften die politischen und diplomatischen Bemühungen jedoch wirkungslos bleiben. In diesem Fall bieten gezielte finanzielle Sanktionen eine attraktive Option. (...) Für sich genommen werden Sanktionen niemals Probleme der nationalen Sicherheit lösen, aber zusammen mit anderen Elementen der nationalen Macht können sie innerhalb eines integrierten, strategischen Ansatzes sehr wirkungsvoll sein.
Nur, wird sich Präsident Obama zu einer solchen Strategie aufraffen können? Levitt äußert sich dazu nicht. Zweifel erscheinen angebracht.



Als eine seiner ersten außenpolitischen Entscheidungen hat Obama das über Syrien verhängte Embargo für den Kauf von Ersatzteilen für Flugzeuge aufgehoben. Weitere Sanktionen sollten bald danach aufgehoben werden. Im Juni 2009 hat er angekündigt, wieder einen US-Botschafter nach Syrien zu schicken (der nach fast acht Monaten dort freilich immer noch nicht angekommen ist).

Anfang April 2009 konstatierte der Nahost- Kenner Seymour M. Hersh im New Yorker "... [a] major change in American policy toward Syria", einen grundlegenden Wandel in der amerikanischen Politik gegenüber Syrien.

Was ist das Ergebnis dieser Politik der ausgestreckten, der dem syrischen Diktator Assad geradezu vor die Nase gehaltenen Hand? Vor einer Woche faßte es der syrische Bürgerrechtler Adib Taleb in der libanesischen Zeitung Al-Mustaqbal (dokumentiert vom Middle East Media Research Institute) so zusammen:
There is no choice but to acknowledge the failure of the nonviolent security efforts taken by the U.S.; likewise, there is no choice but to [recognize that] Obama's soft [approach] has helped this failure, [which was a result of] the generally lax atmosphere that he spreads all around him.

Es gibt keine Wahl, als anzuerkennen, daß die Anstrengungen der USA, ohne Gewalt Sicherheit zu schaffen, gescheitert sind; ebenso gibt es keine Wahl, als [anzuerkennen, daß] Obamas sanfter [Ansatz] dieses Scheitern gefördert hat, [welches das Ergebnis der] allgemeinen laxen Atmosphäre ist, die er um sich herum verbreitet.
Und am 4. November vergangenen Jahres beurteilte Barry Rubin, Herausgeber des Middle East Review und Autor etlicher Bücher über den Nahen Osten, darunter eines über Syrien, die Lage so:
After all, Syria continues to:

Arm, finance, transport, and encourage terrorists murdering American soldiers and Iraqi civilians; oppose peace with Israel; try to seize control over Lebanon; sponsor terrorism against Israel, Lebanon, and Jordan; refuse to cooperate with the international tribunal investigating past Syrian terrorism in Lebanon; deny human rights at home and torture peaceful dissidents; and a long list of other such things.

Schließlich macht Syrien weiter damit:

Terroristen, die amerikanische Soldaten und irakische Zivilisten ermorden, zu bewaffnen, zu finanzieren, zu schleusen und zu ermutigen; sich einem Frieden mit Israel zu widersetzen; zu versuchen, den Libanon unter seine Kontrolle zu bringen; den Terrorismus gegen Israel, gegen den Libanon und Jordanien zu unterstützen; die Zusammenarbeit mit dem internationalen Gericht abzulehnen, das den früheren syrischen Terrorismus im Libanon untersucht; den eigenen Bürgern die Menschenrechte zu vorzuenthalten und friedliche Dissidenten zu foltern; und eine lange Liste ähnlicher Dinge.

Das ist das Ergebnis von einem Jahr Politik der ausgestreckten Hand.



Gewiß, auch Bushs harte Haltung hatte Syrien nicht zu einer Änderung seiner Politik veranlaßt, aber, fragt Rubin:
... what’s better:

--To be tough on enemies in order to weaken them, isolate them, put them on notice to change their behavior, and reinforce the determination of those being attacked by them in the region (in this case, Iraq, Israel, Jordan, Lebanon, and Saudi Arabia) OR

--To be soft on enemies, persuading them you are weak so they will be more aggressive, giving them concessions all the better to eat you with, and demoralizing the radicals’ victims by acting as if you are on the side of the "bad guys?"

... was ist besser:

- gegenüber Feinden hart zu sein, um sie zu schwächen, zu isolieren, ihnen eine Änderung ihres Verhaltens nahezulegen und die Entschlossenheit derer zu stärken, die von ihnen in der Region attackiert werden (in diesem Fall Irak, Israel, Jordanien, der Libanon und Saudi-Arabien), ODER

- gegenüber den Feinden weich zu sein, sie zu der Überzeugung zu bringen, daß man selbst schwach ist, so daß sie aggressiver werden können, ihnen Konzessionen zu machen, für die sie sich freundlich bedanken werden, und die Opfer der Radikalen zu demoralisieren, indem man sich so benimmt, als sei man auf der Seite der "Bösen"?

Eine Friedenspolitik für den Nahen Osten ist gewiß wünschenswert. Aber sie muß auf einer Anerkennung der Realitäten beruhen statt auf dem Wunschdenken, das offensichtlich Präsident Obamas Entscheidungen leitet. Die Vorstellung, man könne eine Dikatur dadurch zu Wohlverhalten veranlassen, daß man sie mit Vorleistungen überhäuft, ist naiv.

Es ist so, wie gestern Gorgasal in diesem Blog den Präsidenten Obama höchstselbst (dort in Bezug auf Israel/Palästina) zitiert und übersetzt hat: "... wenn wir einige dieser politischen Probleme ... früher vorhergesehen hätten, dann hätten wir vielleicht die Erwartungen nicht so hoch angesetzt".

Besser kann man die Gründe für das Scheitern von Obamas Nahost- Politik nicht zusammenfassen.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: NSF. Als Werk der US-Regierung in der Public Domain.