26. April 2010

Marginalie: Tourismus als Menschenrecht. Kein Hoax

Als mich eine Leserin von ZR auf den Artikel im Ottowa Citizen vom 19. April aufmerksam machte, fragte ich mich, ob das nicht ein Hoax ist. Auch sie war skeptisch:
Koennte ein hoax sein, wundert mich aber, dass das im Ottawa Citizen steht, aber nicht in Welt/FAZ/Zeit, jedenfalls nicht online. Aber das Verbot der Gluehbirnen und die drohende Einfuehrung der neuen Duschkoepfe demnaechst sind ja auch Wirklichkeit.
Tja, und auch das mit dem Menschenrecht auf Tourismus ist Wirklichkeit; es steht inzwischen sogar in der Wikipedia.

Der Ottawa Citizen beruft sich auf die London Times; und in der Tat findet man dort unter dem 18. April 2010 einen Artikel mit der Überschrift "Get packing: Brussels decrees holidays are a human right" - Packt eure Sachen: Brüssel erklärt Urlaubsreisen zum Menschenrecht.

Darin erfährt man, daß die Initiative von dem EU-Kommissar für Industrie- und Unternehmenspolitik Antonio Tajani ausgeht. Er erklärt den Tourismus nicht nur zum Menschenrecht, sondern hat bereits konkrete Pläne zu dessen Umsetzung in Europa ausarbeiten lassen:
  • Das Ziel ist es laut Times, "den Stolz auf die europäische Kultur zu fördern, die Nord-Süd-Kluft zu überbrücken und Urlaubsgegenden außerhalb der Saison Einnahmen zu zukommen zu lassen".

  • Das Programm soll bis 2013 versuchsweise laufen und danach fest etabliert werden. Berechtigt sind Rentner und alle Personen über 65 Jahren, Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren sowie Familien in "schwierigen sozialen, finanziellen oder persönlichen Umständen". Behinderte und ältere Menschen dürfen eine Begleitperson mitnehmen.

  • In der Anfangsphase sollen vor allem Nordeuropäer in den Süden reisen und umgekehrt. Die Einzelheiten über die Auswahl der Teilnehmer stehen noch nicht fest. Ungefähr 30 Prozent der Reisekosten sollen von der EU übernommen werden.
  • Wem kommen da nicht der Reisedienst des FDGB in der DDR in den Sinn, oder auch dessen Vorbild, die Organisation "Kraft durch Freude" (KdF)?

    Aber mit Sozialismus hat Antonio Tajani wohl doch eher wenig im Sinn. Er ist Mitglied der konservativen Forza Italia und wurde im Mai 2008 von Silvio Berlusconi nach Brüssel geschickt. Dort war er zunächst Verkehrskommissar, bevor er im Februar dieses Jahres als Nachfolger von Günter Verheugen das Ressort Industrie- und Unternehmenspolitik übernahm.

    Konkrete Vorstellungen für solche Reisen hat Tajani auch schon: Man könne zum Beispiel Südeuropäer nach Manchester oder Liverpool reisen lassen, damit sie dort "Stätten von archäologischem und industriellem Interesse" besichtigen. Gemeint sind geschlossene Fabriken oder stillgelegte Kraftwerke.



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