15. Juli 2010

Marginalie: Wieso darf der Staat eigentlich Restlaufzeiten von KKWs versteigern? Die Arroganz der Macht

Die Idee, von der unser Umweltminister Röttgen meinte, sie habe Charme, ist offenbar vorerst durch eine Entscheidung der Kanzlerin aus dem Verkehr gezogen worden; so jedenfalls meldet es heute die "Süddeutsche Zeitung": Die Idee, Restlaufzeiten von KKWs zu versteigern; zum Wohle der Staatskasse.

Es war eine abwegige Idee gewesen. Nicht nur wegen der Aspekte, die offenbar die Kanzlerin zu ihrer Entscheidung motivierten ("Es dauere zu lang und löse das Problem der Restlaufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke nicht"; so die SZ). Sondern vor allem wegen der Anmaßung des Staats, die in einem solchen Vorschlag sichtbar wird.

Was gibt dem Staat das Recht, sich überhaupt in die Laufzeiten von KKWs einzumischen? Wieso können die Betreiber nicht selbst entscheiden, wie lange sie eine Anlage laufen lassen; so, wie jeder Betreiber einer Brauerei oder eines Freizeitparks das kann?

Es gibt nur zwei Gründe, die das rechtfertigen können.

Erstens kann es sein, daß ein KKW nicht mehr sicher ist; dann muß es entweder modernisiert oder vom Netz genommen werden. Das zu ermitteln und zu entscheiden ist primär Sache des Betreibers; aber wegen des großen öffentlichen Interesses wird man dem Staat zubilligen müssen, daß er sich um Reaktorsicherheit kümmert.

Das tut der deutsche Staat reichlich. Er leistet sich sogar ein Ministerium, das die Reaktorsicherheit in seiner Bezeichnung führt, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit; dazu noch ein Bundesamt für Strahlenschutz.

Aber über die Sicherheit eines Reaktors kann man logischerweise nicht per Versteigerung befinden. Sofern die Laufzeit eines Reaktors technisch begrenzt ist, haben die Entscheidung darüber allein die Fachleute für Reaktorsicherheit zu treffen.

Zweitens kann man die Laufzeiten von KKWs aus ideologischen Gründen begrenzen, weil man nun einmal gegen Kernkraft ist. Wenn man diese Haltung freundlich interpretieren will, dann kann man sagen: Man will "aus der Atomenergie aussteigen", weil man sie für eine inhärent gefährliche Technologie hält. Das tat bekanntlich die seinerzeitige rotgrüne Regierung, als sie im Jahr 2000 den "Atomausstieg" gegen die Industrie durchsetzte (das wurde freundlich "Vereinbarung" genannt) und dies 2002 in die Form einer Novelle zum Atomgesetz goß.

Aber auch dann gibt es nichts zu versteigern. Wenn man die Kernenergie als solche für eine Bedrohung hält, dann muß man eben abschalten, sobald die von den KKWs gelieferte Energie durch andere Energiequellen ersetzt werden kann.



Ich halte die Idee einer Versteigerung für nachgerade obszön. Nicht generell natürlich; bei den UMTS-Frequenzen machte sie Sinn, weil diese ein knappes Gut sind, das der Staat sozusagen treuhänderisch verwaltet.

Aber Laufzeiten von KKWs sind kein knappes Gut. Außerhalb der beiden genannten Gründe gibt es keine Rechtfertigung dafür, daß der Staat sich überhaupt in die Entscheidung über sie einmischt oder gar - das liegt ja der Idee der Versteigerung zugrunde - Laufzeiten als sein Eigentum betrachtet, das er meistbietend verhökern kann. Welch eine Anmaßung. Welch eine unverfrorene Arroganz der Macht.

Daß ausgerechnet in einer christlich-liberalen Regierung diese - wie Jan Filter sie zu Recht nennt - Schnapsidee aufkommen und ernsthaft diskutiert werden konnte, zeigt, wie sehr etatistisches Denken sich auch dort schon festgesetzt hat. Immerhin hat der liberale Wirtschaftsminister Brüderle Flagge gezeigt und sich eindeutig gegen diese staatliche Anmaßung ausgesprochen.



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