26. November 2010

Marginalie: Obama und die US-Linke. Vom Helden zum Prügelknaben. Eine Dolchstoßlegende wird in die Welt gesetzt

Amerikanische Kolumnisten sind etwas anderes als die Kommentatoren deutscher Zeitungen. Sie teilen nicht einfach nur ihre Meinung mit, sondern sie recherchieren, sie nennen Fakten; nicht selten verfügen sie über ihre eigenen exzellenten Informationsquellen.

Eine Kolumne, aus der man viel lernen kann, hat Michael Gerson in der heutigen Washington Post publiziert. Er befaßt sich mit der Frage, wie eigentlich die amerikanische Linke auf die Mißerfolge des Präsidenten Obama reagiert, auf "two years of poor economic performance and electoral repudiation" - auf zwei Jahre einer schlechten Wirtschaftslage und die Ablehnung durch den Wähler.

Sehen sie ein, die amerikanischen Linken, daß dies die Folgen einer linken Politik sind? Einer Politik mit, wie Gerson schreibt, "$1 trillion in new debt, the prospect of higher taxes and a complicated, disruptive health-reform law" - einer Billion [also 1000 Milliarden; Zettel] neuen Schulden, der Aussicht auf höhere Steuern und einem komplizierten, umstrittenen Gesetz zur Gesundheitsreform?

Nein, gewißlich nicht. Gerson registriert zwei andere Reaktionen der Linken auf Obamas immer offensichtlicheres Scheitern.

Die eine besteht darin, den vor kurzem noch Verehrten nun zu verdammen. Gerson zitiert einen Autor der linken Huffington Post, den Altlinken Robert Kuttner, der jetzt dazu aufruft, die progressive Bewegung vor Obama zu retten ("Saving Progressivism From Obama").

Gerson zitiert nur einen Satz; hier sind einige Passagen aus Kuttners Kommentar:
I cannot recall a president who generated so much excitement as a candidate but who turned out to be such a political dud as chief executive. Nor do his actions since the election inspire confidence that he will be reborn as a fighter. (...)

The real question is how we do this [restore progressism] without the active collaboration of a Democratic president who is fast becoming more albatross than ally. (...)

If politics continues on its present course, about the best one might expect for 2012 is that the Republicans will nominate such a nut-case that Obama will stagger to re-election.

Ich kann mich an keinen Präsidenten erinnern, der als Kandidat soviel Begeisterung auslöste, der sich aber als Regierungschef als ein solcher Blindgänger entpuppte. Und was er seit den Wahlen tat, weckt auch nicht gerade die Hoffnung, daß er als ein Kämpfer wiedergeboren werden wird. (...)

Die eigentliche Frage ist, wie wir das tun können [die linke Bewegung erneuern], wenn es kein aktives Mitmachen eines demokratischen Präsidenten gibt, der zunehmend von einem Verbündeten zu einem Hemmschuh wird.

Wenn die Politik auf dem jetzigen Kurs weitermacht, dann ist das Beste, was man für 2012 erwarten kann, daß die Republikaner jemanden so Ausgeflippten nominieren, daß Obama zur Wiederwahl wankt.
Schreibt jener Robert Kuttner, der mit seinem Buch Obama's challenge vor zwei Jahren den Präsidenten als Hoffnungsträger pries.



Das ist die eine Reaktion der Linken. Die andere ist diejenige, die ich - Gerson verwendet das Wort nicht - eine Dolchstoßlegende nennen möchte; nämlich: "The problem is not Obama but the ruthless conspiracy against him" - das Problem sei nicht Obama, sondern die ruchlose Verschwörung gegen ihn.

Da wird von einer "bewußten ökonomischen Sabotage" seitens der Republikaner geschrieben. Da behauptet kein Geringerer als der Nobelpreisträger Paul Krugman: "Republicans want the economy to stay weak as long as there's a Democrat in the White House" - die Republikaner würden eine schwache Wirtschaft wollen, solange ein Demokrat im Weißen Haus sitzt. Da versteigt sich einer der einflußreichsten linken Blogger, Steve Benen, im Washington Monthly zu folgender Behauptung über die Republikanische Partei:
We're talking about a major political party, which will control much of Congress next year, possibly undermining the strength of the country -- on purpose, in public, without apology or shame -- for no other reason than to give themselves a campaign advantage in 2012. (...) We've gone from Republicans rooting for failure to Republicans trying to guarantee failure.

Wir sprechen davon, daß eine große politische Partei, die im kommenden Jahr den Kongreß größtenteils kontrollieren wird, die Stärke unseres Landes untergraben könnte - mit Absicht, öffentlich, ohne Entschuldigung und schamlos -, nur deshalb, um für sich selbst für den Wahlkampf 2012 Vorteile herauszuschlagen. (...) Erst haben die Republikaner nach Mißerfolgen gewühlt, jetzt versuchen sie den Mißerfolg zu garantieren.
Wie kann man allen Ernstes zu solchen absurden Unterstellungen kommen?

Teils sei dieser Vorwurf der bewußten Sabotage eine Strategie der Linken, meint Gerson. Man wolle der Regierung vor Augen führen, daß es gar keinen Sinn hätte, mit diesen auf Obstruktion festgelegten Republikanern Kompromisse zu suchen. Also weiter mit der linken Politik der Verschuldung und der Steuererhöhungen.

Zweitens sei das aber auch so gemeint, wie es geschrieben wird. Zu einer solchen Beurteilung des politischen Gegners könne kommen, wer nicht die verschiedenen Seiten einer Sache sieht:
Yet this is precisely what the sabotage theorists must deny. They must assert that the case for liberal policies is so self-evident that all opposition is malevolent.

Aber genau das müssen die Sabotage-Theoretiker leugnen. Sie müssen versichern, daß linke Politik so offensichtlich richtig ist, daß Opposition nur bösartig sein kann.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Dieses linke Denkmuster, daß jeder, der eine andere Auffassung hat, nur "krude", "dumpf" oder ein "Hetzer" sein kann?

Nicht wahr, Ihnen fällt der Name ein, der mir auch dazu eingefallen ist?

Daß dieser Blick auf den Andersdenkenden, auf den politischen Gegner in der Tat ein Grundzug linken Denkens ist, habe ich kürzlich anhand eines Zitats von Shannon Love erörtert.



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