11. Januar 2011

Was hat Sarah Palin mit der Bluttat von Tucson zu tun? Exakt nichts. Anmerkungen zu einer unfairen, einer zum Teil infamen Kampagne

Nachdem der Mann, der bei einer politischen Veranstaltung auf sein Opfer geschossen hatte und von Sicherheitsbeamten zu Boden geworfen und gefesselt worden war, wieder sprechen konnte, sagte er: "Ich fühle mich durch den Staat verfolgt."

Dieser Mann war nicht Jared Lee Loughner, und das Opfer hieß nicht Gabrielle Giffords. Die Tat geschah vor mehr als zwanzig Jahren. Der Täter, der mit einer Smith & Wesson, Kaliber .38, geschossen hatte, war Dieter Kaufmann. Sein Opfer war Wolfgang Schäuble.

Über die Tat und ihre Hintergründe berichtete damals der "Spiegel" ausführlich in einer Titelgeschichte (Heft 43/1990 vom 22. 10. 1990; S. 28):
Der Staat, erklärte Dieter Kaufmann bei seiner Vernehmung noch in der Nacht des Attentats, habe ihn "psychisch und physisch bedrängt". "Hart und ungerecht" habe man ihn behandelt, er fühle sich "gefoltert und gequält", in seinem Gerechtigkeitssinn verletzt "und damit auch in meiner Menschenwürde".

Als ihm schließlich noch die Hoffnung schwand, "daß sich durch einen Regierungswechsel die Verhältnisse ändern könnten", schlug er zu. Kaufmann zu seinen Vernehmern: "Vielleicht hat meine gestrige Tat dazu beigetragen, politisch etwas auf den Weg zu bringen."
In einem Porträt von Jared Lee Loughner zitierte MSNBC diesen mit Sätzen wie:
The government is implying mind control and brainwash on the people by controlling grammar.

Nearly all the people, who don't know this accurate information of a new currency, aren't aware of mind control and brainwash methods. If I have my civil rights, then this message wouldn't have happen.

Die Regierung sätzt Seelenherrschaft und Gehirnwäsche gegen das Volk ein, denn sie hat die Grammatik unter ihrer Kontrolle.

Fast alle Leute, die diese richtige Information über eine neue Währung nicht kennen, wissen nichts von den Methoden der Seelenherrschaft und Gehirnwäsche. Wenn ich meine Rechte als Bürger hätte, dann würde es diese Botschaft nicht geb.
(Ich habe versucht, die sprachlichen Schnitzer - "implying" statt "employing", "happen" statt "happened" - in der Übersetzung wiederzugeben).

Ganz ähnlich hatte sich 1990 der Attentäter Kaufmann geäußert. Noch einmal der damalige "Spiegel", der aus dem Vernehmungsprotokoll zitiert:
Doch dann, mit der Dauer des Verhörs zunehmend, schlich sich das Abwegige und Bizarre ein, geisterten Wahnvorstellungen durch Kaufmanns Geständnis. (...) Das lief über "elektrische Wellen auf den Körper", über quälende "Lauttechnik", über "elektrolytisch erhebliche Schmerzen", die dem ehemals Drogenabhängigen, wie er angab, "im Zwölffingerdarm und im Kopf" zugefügt wurden. "Unter anderem hat der Staat auch versucht, mich sexuell zu erregen."
Bei Dieter Kaufmann wurde eine paranoide halluzinogene Schizophrenie diagnostiziert, also eine Form der Schizophrenie, die mit Verfolgungswahn und Halluzinationen einhergeht. Eine ähnliche Erkrankung hatte Adelheid Streidel, die im April desselben Jahres 1990 Oskar Lafontaine niedergestochen hatte und die Äußerungen tat wie "Es gibt in Europa Menschenfabriken und unterirdische Operationssäle, wo Leute aus der Bevölkerung körperlich und geistig umfunktioniert werden."

Weder bei Streidel noch bei Kaufmann ist damals jemand auf die Idee gekommen, bestimmte Politiker oder eine bestimmte politische Bewegung für die Tat mitverantwortlich zu machen oder auch nur irgendeine derartige Verbindung herzustellen.

Bei Loughner steht die Diagnose noch aus. Daran, daß auch er psychisch krank ist, gibt es aber kaum Zweifel; auch hier ist eine paranoide Schizophrenie die wahrscheinlichste Diagnose. Dazu schreibt heute die Los Angeles Times (LAT) mit Berufung auf Psychiater:
Loughner's increasingly bizarre and mistrustful pronouncements, combined with his age — 22 — suggest to many mental health professionals a flowering of mental illness marked by delusional thinking. People diagnosed with schizophrenia, for instance, most often begin showing signs of the illness in their late teens or early 20s, when they suffer episodes of hallucinations and become preoccupied with delusions — for instance, of persecution or conspiracy.

Die zunehmend bizarren und Mißtrauen ausdrückenden Äußerungen Loughners legen für viele psychiatrische Fachleute zusammen mit seinem Alter - 22 Jahre - die Vermutung einer sich herausbildenden Geisteskrankheit nahe, die durch Wahnideen geprägt ist. Menschen, bei denen eine Schizophrenie diagnostiziert wird, zeigen die ersten Anzeichen für die Krankheit meist in ihren letzten Teenager-Jahren oder früh in den Zwanzigern, wenn sie unter Anfällen von Halluzinationen leiden und von Wahnideen verfolgt werden - zum Beispiel über Verfolgung und Verschwörung.
In den USA wird jetzt darüber diskutiert, ob man die psychiatrische Versorgung so verbessern kann, daß solche Fälle rechtzeitig erkannt und behandelt werden können. Auch darüber berichtet der Artikel der LAT.



So weit ist dies eine Geschichte über Psychiatrie und Verbrechen. Mit Politik hat sie nur insofern etwas zu tun, als die Wahnideen paranoider Schizophrener oft das Verfolgtwerden durch den Staat in irgend einer Weise einschließen; so daß dann, wenn es zu einem Gewaltausbruch kommt, dieser nicht selten einen Politiker oder anderen Repräsentanten des Staats trifft.

Wie aber behandeln unsere Medien dieses Thema? Sehen Sie sich einmal diesen Artikel an. Er war gestern ab kurz vor sieben Uhr abends stundenlang der Aufmacher von "Spiegel-Online".

Illustriert ist er mit einem Porträt nicht etwa des Täters oder seines Opfers Giffords, sondern von - Sarah Palin! Und zwar mit einem Foto, das diese als zähnefletschende Bestie zeigen soll. Überschrift: "Debatte um Attentat von Arizona - Sarah Palin im Fadenkreuz".

Die Autorin, Annett Meiritz, berichtet überwiegend sachlich und enthält sich einer eigenen Stellungnahme. Das aber, worüber sie berichtet, ist nachgerade infam zu nennen. Da wird beispielsweise Sarah Palin mit der Tat in Verbindung gebracht, weil es auf ihrer Facebook-Seite eine Karte der USA gibt oder gab, auf der bestimmte Wahlbezirke markiert sind, welche die Republikaner von den Demokraten bei den letzten Wahlen erobern wollten. Die Markierungen kann man, wenn man will, als Fadenkreuze deuten. Die Demokraten haben zu einem ähnlichen Behuf einmal eine Art stilisierte Schießscheiben verwendet.

Daß der Täter Loughner diese Karte jemals gesehen hat, ist unwahrscheinlich; geschweige denn, daß sie ihn - bizarre Vorstellung - dazu bewogen haben könnte, das Attentat zu planen. Es gibt nicht die Spur eines Hinweises darauf, daß er Sarah Palin überhaupt politisch nahesteht oder daß er irgendeine Verbindung zur Tea Party hat.

Das spielt für die linke Propaganda aber alles keine Rolle. Loughner hat in Arizona geschossen. In Arizona gibt es eine starke Tea-Party-Bewegung. Also ist diese, also ist Sarah Palin jedenfalls mitschuldig an der Tat. So wird es behauptet. So unanständig benimmt sich die US-Linke mit ihrer Propaganda.

Und viele unserer Medien beten es nach. In Deutschland nicht nur "Spiegel-Online"; beispielsweise auch die "Süddeutsche Zeitung". Jenseits des Kanals im Guardian der (linke amerikanische) Journalist Michael Tomasky. Er brachte es fertig, die Schüsse auf Gabrielle Giffords mit "rechter Wut" in Verbindung zu bringen, die "in der konservativen DNA kodiert" sei.

Den Vogel abgeschossen hat aber die Huffington Post, die führende linke Webzeitung der USA. Dort hat ein gewisser Michael Kieschnick einen Artikel "Praying for Palin" (Für Palin beten) publiziert, der zum Abstoßendsten gehört, das ich jemals zu einem solchen Thema gelesen habe:
So far, Sarah Palin has offered up prayers for the victims on Facebook. (...) Yes, the victims of yesterday's political shootings deserve our prayers. But those who helped create the toxic soup of our relentless 24 hour a day rhetoric where opponents deserve the firing line (...) deserve a very different sort of prayer.

I pray that Sarah Palin's heart be transformed -- that the hate that so clearly underlies her rhetoric be replaced with love for those she opposes. That she ponders the message of the one she worships -- Jesus would not have put cross hairs on anyone. I hope that in the privacy of her own soul she prays for forgiveness for the rhetoric she has used to win votes, drive ratings, sell books and promote their Facebook pages. I hope that she receives strength to change her path.

Bisher hat Sarah Palin auf Facebook Gebete für die Opfer angeregt. (...) Aber diejenigen, mit deren Hilfe die vergiftete Suppe einer Rhetorik entstand, die tagein, tagaus von den Gegnern sagt, daß sie in die Schußlinie gehörten (...), verdienen ein Gebet ganz anderer Art.

Ich bete dafür, daß das Herz von Sarah Palin sich wandle - daß der Haß, der so klar ihrer Rhetorik zugrundeliegt, durch Liebe zu denen abgelöst werden möge, denen sie widerstreitet. Daß sie die Botschaft dessen in sich bewegen möge, den sie verehrt - Jesus hätte niemanden mit einem Fadenkreuz markiert. Ich hoffe, daß sie in der Abgeschiedenheit ihrer Seele um Vergebung für die Rhetorik bitte, die sie benutzt hat, um Stimmen zu erhalten, um Umfragen zu beeinflussen, Bücher zu verkaufen und auf Facebook-Seiten für diese zu werben. Ich hoffe, daß ihr die Stärke zuteil wird, ihren Weg zu ändern.
Kieschnick fordert die Leser der Huffington Post auf, diese "Petition" zu unterzeichnen; und laut Annett Meiritz haben das bereits mehr als hunderttausend getan.



Gibt es überhaupt irgendwelche Hinweise auf das, was den Täter beeinflußt haben könnte? Ja, es gibt sie. In einem seiner Videos hat er seine Lektüre genannt: Unter anderem "Mein Kampf" und das Kommunistische Manifest.

Das nun, anders als Sarah Palin, in der Tat zur Gewalt aufruft.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an Thomas Pauli. Titelvignette: Karl-Eduard von Schnitzler, der Meister linker Agitation. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-41751-0001.