3. Juni 2011

Marginalie: Steigt Deutschland wirklich aus der Nutzung der Atomenergie aus? Keineswegs. Es wird nur ein Outsourcing stattfinden

Zu den Absurditäten der deutschen Entscheidung, sich freiwillig selbst die günstigste Technik zur Stromerzeugung wegzunehmen, gehört die Inkonsequenz dieses "Ausstiegs". Deutschland wird nämlich auch künftig keineswegs auf die Nutzung der Atomenergie verzichten. Es findet nur ein Outsourcing statt.

In Zukunft wird der Atomstrom, den wir auch weiter verbrauchen werden, lediglich weniger innerhalb Deutschlands erzeugt und stattdessen in wachsendem Umfang importiert werden. Darauf hat jetzt bei Stratfor (in einem nur Abonnenten zugänglichen Beitrag) Peter Zeihan aufmerksam gemacht. Ich fasse den Artikel zusammen:

Der deutsche Ausstieg aus der Atomenergie eröffnet ein europäisches Machtspiel. Denn Deutschland wird künftig auf den Import von Strom und von Erdgas angewiesen sein. Die Frage wird sein, welches Land wieviel davon nach Deutschland liefern darf.

Windenergie ist mehr als dreimal so teuer wie Atomenergie; Solarenergie ist zehnmal so teuer. Selbst wenn es technisch möglich wäre, vollständig auf "erneuerbare Energien" umzurüsten, könnte Deutschland diese Last finanziell gar nicht tragen. Es wird also Strom und Erdgas in großem Umfang importieren müssen. Wer kommt als Lieferant in Frage? Für den Strom zum einen Frankreich, zum anderen Polen. Für das Erdgas natürlich Rußland.

In Frankreich wird die friedliche Nutzung der Atomenergie auch nach Fukushima nicht in Frage gestellt. Es wird seine Kapazitäten ausbauen, um die Nachfrage aus Deutschland zu befriedigen. Bereits jetzt gibt es einen Wettlauf der französischen Produzenten um die Versorgung Deutschlands mit dem Atomstrom, den es importieren muß, seit nach Fukushima sieben Reaktoren stillgelegt wurden.

Aber auch Polen steht bereit, Deutschland mit elektrischer Energie zu versorgen. Es hat daran ein doppeltes Interesse: Ein politisches und ein wirtschaftliches.

Politisch muß Polen versuchen, der kommenden deutschen Abhängigkeit von Rußland, so gut es kann, entgegenzuwirken (siehe zu dieser bevorstehenden Abhängigkeit von Rußland den gestrigen Artikel Russisches Erdgas statt deutscher Kernenergie. Wie der "Ausstieg" die geopolitische Lage verändert. Deutsche Ethik; ZR vom 2. 6. 2011). Denn die Furcht in Polen ist groß, (wieder einmal) Opfer einer deutsch-russischen Allianz zu werden.

Wirtschaftlich hat Polen den Vorteil (genauer gesagt: den bisherigen Nachteil, der sich jetzt als Vorteil erweist), noch über einen intakten Kohlebergbau zu verfügen. Es erzeugt noch immer 90 Prozent seines Stroms in Kohlekraftwerken und könnte innerhalb weniger Jahre weitere solche Kraftwerke bauen, um die bevorstehende Nachfrage aus Deutschland zu befriedigen.

Wieweit Deutschland Strom aus Polen haben will, hängt freilich davon ab, wie schnell es selbst jetzt Gaskraftwerke baut. Wenn der "Nord Stream" - die Pipeline durch die Ostsee unter Umgehung Polens und der baltischen Staaten - voll in Betrieb ist, wird er eine Kapazität von 55 Milliarden Kubikmetern Erdgas im Jahr haben. Das würde genügen, um dann, wenn in Deutschland in hohem Tempo neue Gaskraftwerke gebaut werden, die Hälfte des Ausfalls aufgrund des "Ausstiegs" zu ersetzen.



Soweit Peter Zeihan bei Stratfor. Es ist bemerkenswert, wie wenig diese Aspekte in die deutsche Diskussion über den "Ausstieg" eingehen (sofern eine solche überhaupt stattfindet; überwiegend herrscht ja ein gespenstischer Konsens).

Die "Energiewende" wird damit gerechtfertigt, daß Fukushima die Unsicherheit der Atomenergie gezeigt hätte. Umweltminister Norbert Röttgen am 23. April im "Spiegel":
Wir müssen unser Verhältnis zu elementaren Risiken neu bewerten, wir müssen Sicherheit neu verstehen. Drei schwere Reaktorunfälle in drei Jahrzehnten - 1979 in Harrisburg, 1986 in Tschernobyl, jetzt in Fukushima - führen zu der Schlussfolgerung: Kernenergie mag kurzfristig zwar als eine billige Energiequelle erscheinen, aber ihre Kosten sind im Fall einer Katastrophe zu hoch.
Das gälte nun freilich, wenn es denn wahr wäre, nicht nur für die KKWs auf deutschem Boden, sondern ebenso, sagen wir, für Fessenheim, Cattenom und Chooz auf der anderen Seite des Rheins.

Wenn wir aufgrund von Sicherheitsbedenken auf deutschen Atomstrom verzichten - wie können wir dann Atomstrom aus Frankreich importieren? Das ist ungefähr so, als würde jemand, zum Antialkoholiker bekehrt, künftig auf deutschen Wein verzichten, aber denjenigen aus dem Bordelais und aus Burgund munter weiter trinken.
Zettel



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