1. August 2011

Glück und Geld (3): Gemessene Beliebigkeit

Trotz der Empfehlung der UN wird sich die Glücksmessung à la Bhutan wohl nicht als allgemeines Vorbild durchsetzen. Sie ist doch etwas zu obskur und auf lokale Besonderheiten bezogen und letztlich auch recht kompliziert in der Auswertung. Ein Index für das Wohlergehen eines Landes muß halt am Ende ein griffiges Ergebnis bringen, mit dem Vergleiche mit anderen Ländern möglich sind.

Ein früher Versuch dazu ist der "Human Development Index" (HDI) der UN. Er verknüpft das Pro-Kopf-Einkommen (also letztlich eine Variante des Bruttosozialprodukts) mit der Lebenserwartung und dem Bildungsniveau. Während die Lebenserwartung wohl eine gut geeignete Meßgröße ist, halte ich Bildung für ein schwieriges Kritierium. Natürlich ist Bildung wichtig. Aber macht sie automatisch glücklich? Insbesondere, wenn nicht Ergebnisse (also Bildungserfolge) gemessen werden, sondern schlicht die Zeit, die man in irgendwelchen Bildungseinrichtungen zugebracht hat? So nach dem Motto: "Ich verdiene zwar nur die Hälfte von Dir, aber ich habe doppelt so lange studiert - damit sind wir gleich glücklich". Die Einwände sind aber letztlich nebensächlich, weil alle drei Faktoren des HDI sehr stark miteinander korrelieren. Ist ein Land reich, leistet es sich auch viel Bildung und medizinische Versorgung - die Ergebnisse im Ländervergleich entsprechen letztlich weitgehend denen beim BSP.

Relativ neu kommt aus England die Idee des "Happy Planet Index". Dabei werden Lebenszufriedenheit und Lebenserwartung mit obskuren ökologischen Berechnungen vermischt. Und das Ergebnis ist schon fast atemberaubend unsinnig. Glückliche Länder gibt es eigentlich gar keine, halbwegs glücklich sind Kuba und andere mittelamerikanische Länder, in Europa empfehlen sich Polen und Moldawien (!), dem Rest Europas geht es schlecht, und die USA sind die reinste Hölle aus HPI-Sicht.

In Frankreich finden wir dagegen den "World Happiness Index" einer Initiative namens Globeco. Hier werden so interessante Faktoren wie "Anzahl der Nuklearköpfe", "BSP pro Kopf", "Anzahl der Selbstmorde" und "Zahl von Fernsehgeräten" gemischt. Wieviele Nuklearköpfe ich brauche, um den negativen Einfluß meines Fernsehers auszugleichen, habe ich leider nicht herausfinden können.

Aber wenden wir uns dem führenden deutschen Beispiel zu.

Der führende Glücksindex hierzulande ist der "Nationale Wohlfahrtsindex" eines Herrn Diefenbacher. In deutscher Gründlichkeit wird dabei ein BSP-Analogon aus den folgenden Faktoren berechnet:
Index der Einkommensverteilung
Gewichtete Konsumausgaben
Wert der Hausarbeit
Wert der ehrenamtlichen Arbeit
Öffentliche Ausgaben für Gesundheits- und Bildungswesen
Dauerhafte Konsumgüter Kosten / Nutzen
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
Kosten von Verkehrsunfällen
Kosten von Kriminalität
Kosten alkoholassoziierter Krankheiten
Gesellschaftliche Ausgaben zur Kompensation von Umweltbelastungen
Schäden durch Wasserverschmutzung
Schäden im Zuge von Bodenbelastungen
Schäden durch Luftverschmutzung
Schäden durch Lärm
Verlust bzw. Gewinn durch die Veränderung der Fläche von Feuchtgebieten
Schäden durch Verlust von landwirtschaftlich nutzbarer Fläche
Ersatzkosten durch Ausbeutung nicht erneuerbarer Ressourcen
Schäden durch CO2- Emissionen
Nettowertänderungen des Anlagevermögens (ohne Bauten)
Veränderungen der Kapitalbilanz
Einige Punkte daraus wären grundsätzlich vernünftig. Es ist ein Defizit des klassischen BSP, daß diverse materiell nützliche Aktivitäten dort nicht erfaßt werden können - z. B. unbezahlt geleistete Arbeit, im Haushalt oder im Ehrenamt. Das Problem ist natürlich, daß es für diese Aktivitäten keine auch nur halbwegs zuverlässige Berechnung gibt, es sie nicht geben kann. Denn gerade weil sie nicht bezahlt werden, ist ihr konkreter Umfang und Wert nicht vernünftig zu messen.

Andere Punkte sind kritisch bis unsinnig:
- Nicht Gesundheit oder Bildungserfolg werden einbezogen, sondern nur die staatlichen (nur diese!) Ausgaben in diesen Sektoren. Ob diese Ausgaben im konkreten Fall irgendeinen Nutzen haben, ist unbekannt; so wie umgekehrt die positiven Gesundheits- oder Bildungseffekte vieler privater Tätigkeiten, vom simplen Frühsport bis zum Lesen von Fachbüchern (oder Blogs ...). Und dann werden noch die Kosten des Alkoholkonsums (aber nur diese!) addiert. Obwohl diese bei den Gesundheitsausgaben schon beinhaltet sein müßten.
- Pendlerfahrten werden als negativ eingerechnet, alle übrigen Verkehrsleistungen bleiben neutral.
- die Kosten von Verkehrsunfällen werden berücksichtigt, nicht aber alle übrigen Schäden aus Unfällen oder Naturereignissen.
- die Schäden aus diversen Umweltbelastungen werden einbezogen und dann die Ausgaben zu ihrer Kompensation addiert - also letztlich eine Doppelberechnung.
- landwirtschaftlich nutzbare Flächen werden als Wert per se betrachtet - die Umwandlung in irgendeine andere Nutzung gilt automatisch als Verschlechterung.
Aber alle diese Einwände werden nebensächlich, wenn man dann die konkreten Daten anschaut (im verlinkten Bericht ab Seite 94). Die meisten Faktoren spielen überhaupt keine Rolle, weil sie entweder vernachlässigbar klein sind gegenüber den wesentlichen Größen und/oder fast konstant bleiben.
Wirklich relevant sind der Konsum (das entspricht letztlich fast wieder dem BSP) plus die geschätzte Hausarbeit. Dort wurden im Beobachtungszeitraum von 1990 bis 2007 deutliche Zugewinne erzielt, nämlich über 300 Millionen Euro. Dazu kommen 20 Milliarden wegen deutlicher Reduzierung der Verkehrsunfälle und etwa 60 Milliarden durch Verbesserungen im Umweltbereich.
Insgesamt also ein deutlicher Erfolg der wirtschaftlichen Entwicklung; noch stärker, als sie am reinen BSP-Wachstum abzulesen ist.

Aber um die gewünschte negative Entwicklung aufzuzeigen werden dann die "Ersatzkosten" für Energie abgezogen (Faktor 18). Da wird letztlich berechnet, was ein Ersatz der eingesetzten fossilen Brennstoffe durch "alternative Energien" gekostet hätte. Mit anderen Worten: Es wird schon dargestellt, daß die gewünschte Umstellung unserer Wirtschaft auf Windräder den kompletten Wohlstandsgewinn auffressen würde.

Man könnte dem "Nationalen Wohlfahrtsindex" zugute halten, daß er nach Angaben der Autoren in vielen Punkten noch vorläufig ist und weiter verfeinert werden soll. Auch die methodischen Probleme bei vielen Abschätzungen werden im Text offen angesprochen.
Aber solche Vorbehalte können wenig gelten, da die Autoren den Index insgesamt als verwendbares Ergebnis präsentieren. Sie liefern ihren Politikern griffige Zahlen für die Verwendung im Wahlkampf (z. B. die Grünen in Schleswig-Holstein), und sie dienen ihre "Studie" der EU als Basis für die politische Glücksdiskussion an.

Und das kann eigentlich nicht sein für ein unfertiges Machwerk mit so schweren methodischen und handwerklichen Mängeln.
R.A.



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