10. August 2011

Marginalie: Was ist los mit Deutschland?

"Sonntagsfrage aktuell" aggregiert regelmäßig die Umfrageergebnisse der großen demoskopischen Institute. Heute habe ich die aktuellen Daten erhalten. Hier sehen Sie die Entwicklung der Zustimmung zu den einzelnen Parteien seit den Bundestagswahlen am 27. September 2009.

Bei diesen Wahlen vor knapp zwei Jahren erreichte die FDP das Rekordergebnis von 14,6 Prozent und wurde damit drittstärkste Partei.

Im Dezember 2009 sank ihr Anteil in den Umfragen unter denjenigen der Grünen und hat sich seither immer weiter von diesem entfernt. Aktuell erreichen die Grünen mit 22,0 Prozent bei der Sonntagsfrage mehr als fünfmal so viel Zustimmung wie die FDP (4,0 Prozent).

Im Januar 2010 sank der Anteil der FDP unter den der Kommunisten und hat ihn seither nicht wieder erreicht. Im Juni 2010 sank der Anteil der FDP unter denjenigen für "Sonstige" und hat ihn seither nicht wieder erreicht.



Dieser Abstieg einer Partei innerhalb von zwei Jahren ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Westerwelles Kraftakt im Februar 2010 ("spätrömische Dekadenz") hat ihn so wenig verlangsamen können wie die Abhalfterung Westerwelles im Mai 2011. Die FDP ist heute eine Splitterpartei mit nur noch geringen Aussichten, in zwei Jahren wieder in den Bundestag einzuziehen.

Anders als so gut wie alle anderen demokratischen Rechtsstaaten hat die Bundesrepublik traditionell keine konservative Partei. Jetzt hat sie auch keine liberale Partei von Belang mehr.

Es gibt, soweit ich sehe, weltweit keinen anderen demokratischen Staat, dessen politisches Spektrum nur von linksaußen bis zur Mitte reicht; mit einem gähnenden Vakuum auf der Rechten.

Es gibt keinen anderen Staat, in dem die Ökologisten mehr sind als eine kleine Partei von Eiferern. In der Bundesrepublik sind sie eine der drei Volksparteien.

Es gibt kaum einen Staat, in dem der Liberalismus - sei es in Gestalt einer Partei, sei es als Flügel einer großen Partei- nicht eine bedeutende politische Kraft wäre. In Deutschland sind die Liberalen heute eine quantité négligeable.

In dieser Bundesrepublik ist bereits ein konservativer Sozialdemokrat wie Thilo Sarrazin ein Rechtsaußen, dem man abspricht, überhaupt noch zum demokratischen Spektrum zu gehören.

Was ist los mit dieser Aussteigernation? Ich weiß es nicht. Ich habe schlicht keine Erklärung. Ein langfristiger Trend scheidet aus; sonst hätte Schwarzgelb nicht vor weniger als zwei Jahren eine Mehrheit bekommen.

Es kommt mir so vor, als sei diese Nation von einem Taumel erfaßt. So, als hätte man uns eine starke Dosis eines Rauschmittels verabreicht.

Das Bedenkliche ist, daß solche Phasen des Taumels, des Verlusts der Vernunft die deutsche Geschichte durchziehen. Es scheint, daß wir Deutschen so etwas wie politische Quartalssäufer sind. Meist vernünftige, klar denkende Menschen. Bis uns wieder einmal der Rausch erfaßt. Bisher war es immer ein nationaler. Diesmal ist es, wie es scheint, zur Abwechslung ein linksökologischer.

Wir kennen dann keine Parteien mehr, wir kennen nur noch Deutsche. Und diejenige Partei, die wie keine andere an Vernunft und klares Denken appelliert, die FDP, geht unter in dieser kollektiven Besoffenheit.
Zettel



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