22. März 2012

Neues aus der Forschung (14): Verursachen Handy-Strahlen das "Zappelphilipp"-Syndrom ADHS? Ein kleines Lehrstück in wissenschaftlicher Methodik

Aufmerksam geworden bin ich auf die Sache durch einen Artikel von Ulrich Bahnsen in der heutigen "Zeit". "Von Dr. Ulrich Bahnsen" hätte ich vielleicht schreiben sollen, denn der Redakteur Bahnsen gehört zur schrumpfenden Gilde der Wissen­schafts­journalisten, die etwas von Wissenschaft verstehen (für ein Gegenbeispiel siehe Welche Meinung haben die Amerikaner zur "globalen Erwärmung"? Vertrauen Sie nicht "Spiegel-Online". Sie werden desinformiert; ZR vom 11. 6. 2010).

In diesem Fall geht es um eine vor einer Woche publizierte Untersuchung einer Forschergruppe um den Gynäkologen Hugh S. Taylor (Yale), die fand, daß Mäuse Auffälligkeiten in ihrem Verhalten zeigten, wenn die Muttertiere während der Trächtigkeit permanent der Strahlung eines eingeschalteten Handys ausgesetzt gewesen waren.

Bahnsen hat verschiedene deutsche Experten befragt, die auf methodische Mängel dieses Experiments aufmerksam gemacht haben und die vor allem darauf hinwiesen, daß die Ergebnisse nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen werden dürfen; Sie können das im einzelnen in seinem Artikel nachlesen.

Nun gilt das für jedes Experiment am Tiermodell und ist als solches keine Kritik. Es kann sich immer nur darum handeln, daß solche Daten auf eine mögliche Gefährdung von Menschen aufmerksam machen, die dann am Menschen selbst genauer untersucht werden muß. Die Autoren sind auch ausgesprochen vorsichtig, ihre Befunde auf den Menschen zu übertragen. Sie schreiben ausdrücklich:
Definitive studies in humans are required prior to extrapolating these behavioral findings to humans.(...) Further testing is warranted in humans and non-human primates to determine if the risks are similar and to establish safe exposure limits during pregnancy.

Eindeutige Untersuchungen an Menschen sind erforderlich, bevor man diese Verhaltensdaten auf den Menschen übertragen kann. (...) Es sind weitere Überprüfungen an Menschen und anderen Primaten angezeigt, um zu klären, ob die Risiken ähnlich sind und um sichere Belastungsgrenzen während der Schwangerschaft zu ermitteln.
Auch sonst macht die Untersuchung methodisch einen guten Eindruck. Bis auf einen Punkt; und das ist der Punkt, dessentwegen ich sie kommentieren möchte.



Wie es heute in den Naturwissenschaften üblich ist, werden derartige Experimente im Team durchgeführt. In diesem Fall bestand es aus Medizinern und Biologen verschiedener Abteilungen von Yale: Der Abteilung für Molekular-, Zellulär- und Entwicklungsbiologie; der Abteilung für Gynäkologie, Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin, der Abteilung für Vergleichende Medizin und der Abteilung für Umwelt- und Gesundheitswissenschaften.

Das war eine ausgesprochen sinnvolle Kooperation: Die Gynäkologen interessieren sich für Belastungen während der Schwangerschaft. Die Biologen kennen sich mit Mäusen aus; die Umweltwissenschaftler wollen eventuelle Wirkungen von Strahlen aus der Umwelt untersuchen.

Jeder ist in einem solchen Team dafür verantwortlich, daß das Experiment unter dem Gesichtspunkt seines Fachs den methodischen Anforderungen genügt und daß die Daten unter Berücksichtigung des Stands der Forschung in seinem jeweiligen Bereich interpretiert werden.

Aber nicht immer sind in einem solchen Team Experten für alles vertreten. Das war hier das Problem.



Das Experiment wurde nach allen Regeln der Kunst durchgeführt:
  • Es gab eine experimentelle Gruppe von trächtigen Mäusen, über deren Käfig sich ein ständig eingeschaltetes Handy befand. Es gab eine Kontrollgruppe von Mäusen, die in jeder Hinsicht identisch behandelt wurden, außer daß das Handy ausgeschaltet blieb. Findet man Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, dann müssen sie also - so die Logik der Experimentatoren - darauf zurückzuführen sein, daß die betreffenden Mäuse sich in der unmittelbaren Nähe eines eingeschalteten Handys aufhielten; also dessen Radiofrequenz-Strahlung (RF) ausgesetzt waren.

  • Die von den beiden Gruppen von Mäusen geborenen Jungtiere wurden einer Reihe von Verhaltenstests und Untersuchungen ihrer Gehirne unterzogen. Beispiels­weise mußten sie Lernaufgaben bewältigen, und ihre Aktivität wurde in einem Test gemessen, in dem sie zwischen beleuchteten und dunklen Teilen einer Box wechseln konnten. Mäuse tendieren dazu, bei Angst einen dunklen Ort aufzusuchen; deshalb wurde für beide Gruppen gemessen, wie lang sich die Tiere jeweils im dunklen Teil aufhielten. Neurologisch wurde anhand von Zellen des Frontalhirns untersucht, wie gut die Informationsübertragung von einer Zelle zur anderen war.

  • Die Ergebnisse lieferten ein eindeutiges Bild: Die Mäuse, deren Muttertiere während der Trächtigkeit unter den eingeschalteten Handys gelebt hatten, zeigten eine schlechtere Gedächtnisleistung, waren hyperaktiver und weniger ängstlich als die Tiere aus der Kontrollgruppe. Die Informationsüber­tragung im Frontalhirn war bei ihnen gegenüber der Kontrollgruppe verschlechtert. Diese Unterschiede waren statistisch signifikant.
  • Das sieht durchaus nach guter Wissenschaft aus; und wie zitiert, hüten sich die Autoren des weiteren davor, diese Befunde vorschnell auf den Menschen zu übertragen. Gibt es also keinen Haken bei dem Experiment?

    Es gibt einen Haken. Und wo er sich befindet, ist interessant unter dem Gesichtspunkt der Kooperation in Forscherteams. Hier gab es Spezialisten für Mäuse und für Schwangerschaft - aber offenbar keinen Spezialisten für Handys und deren Technik und Physik.

    Ein solcher meldete sich inzwischen in einem Kommentar zu Wort (Sie finden ihn im Anschluß an den Artikel). Der Autor dieses Kommentars ist Andrew Wood, Biophysiker an der australischen Swineburne University und Fachmann für die Wirkungen von Strahlungen auf biologisches Gewebe; Spezialist insbesondere für die Untersuchung von Handy-Strahlung.

    Sein Kommentar ist vernichtend für die Publikation der Yale-Gruppe.

    Es sei, schreibt er, noch nicht einmal sichergestellt, daß die Mäuse in der experimentellen Gruppe überhaupt nennenswerter RF-Strahlung ausgesetzt waren. Dafür genügt nämlich nicht, daß das Handy auf "Gespräch" gestellt ist, sondern es muß auch fortlaufend ein akustischer Input erfolgen. Sonst werden nur regelmäßig kurze Kontrollimpulse ausgesandt; für einige zehn Millisekunden alle paar Minuten. Hätten die Handys tatsächlich ständig "gestrahlt", dann hätten die Batterien nach 8 oder 9 Stunden leer sein müssen. Die Experimentatoren berichten aber, sie seien rund um die Uhr eingeschaltet und fest an ihrem Ort geblieben.

    Sodann wurde von den Experimentatoren als die Dosis, welche die Tiere erhielten, eine SAR (spezifische Absorptionsrate) von 1.6 W/kg angegeben. Das ist aber, schreibt Woods, lediglich der in den USA vorgeschriebene Grenzwert; die tatsächlichen Werte liegen typischerweise bei einem Bruchteil davon. Auch wurde von den Experimentatoren nicht die Abschirmwirkung ihrer Käfige berücksichtigt; ebensowenig wie das Magnetfeld, das ein eingeschaltetes Handy erzeugt. Und so fort.

    Kurzum: Diese wissenschaftlich ehrenwerten Gynäkologen und Mäuseforscher haben einfach ein Handy eingeschaltet und auf den Käfig gelegt und zur Kontrolle ein ausgeschaltetes Handy verwendet. So beschlagen sie auf ihren jeweiligen Gebieten sind - von der Physik und Technik von Handys hatten sie, wie es scheint, wenig Ahnung. Woods Fazit:
    ... whatever led to neurobehavioral disorders in this study was unlikely to be RF and thus the main conclusion is likely to be in error.

    ... was immer die Verhaltens- und neurologischen Störungen in dieser Untersuchung verursachte - es ist unwahrscheinlich, daß dies RF war; die wesentliche Schlußfolgerung ist also wahrscheinlich irrig.
    ­
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Galileo Galilei, gemalt im Jahr 1605 von Domenico Robusti. Ausschnitt. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.