20. März 2012

US-Präsidentschaftswahlen 2012 (24): Die Lage zur Halbzeit. Heute wählt Illinois. Santorum düpiert die Demoskopen. Mit einem Nachtrag zum Ergebnis

Das Rennen um die Nominierung des republikanischen Kandidaten für die Präsidentschaft begann am 3. Januar in Iowa. Am 26. Juni findet die letzte Vorwahl statt, im Mormonenstaat Utah. Es ist jetzt also bald Halbzeit bei den Entscheidungen darüber, wer am 6. November gegen Barack Obama antreten wird.

Auch von den Delegiertensitzen ist jetzt schon fast die Hälfte vergeben: Von den 2296, die sich am 27. August in Tampa, Florida, versammeln werden, sind derzeit 965 bestimmt. Davon entfallen 519 auf Mitt Romney, 239 auf Rick Santorum, 138 auf Newt Gingrich und 69 auf Ron Paul.

Spannend war es besonders am Anfang, als entschieden wurde, wer ausscheidet und wer im Rennen bleibt. Spannend wird es wahrscheinlich noch einmal im Endspurt werden. Jetzt, in der Zeit dazwischen, geht es etwas beschaulicher zu.

Vor allem seit letzter Woche; denn bei den Vorwahlen in Alamaba und Mississippi entschied sich, daß neben Romney, Santorum und Paul auch Newt Gingrich im Rennen bleiben wird - paradoxerweise gerade deshalb, weil sein Rivale um die Stimmen der Konservativen, Rick Santorum, glänzend abschnitt. Denn damit ist es jetzt möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, daß Mitt Romney nicht mit einer absoluten Mehrheit von Delegiertenstimmen zum Parteitag nach Tampa fahren wird. Und dann könnte die Stunde Gingrichs als king maker schlagen, als Königsmacher.

Auch wenn morgen die Ergebnisse aus Illinois vorliegen, wird sich an dieser Situation nichts Grundlegendes geändert haben. Alle Umfragen deuten auf einen Sieg Romneys hin. Aber mit den Umfragen ist das in diesem Wahljahr 2012 so eine Sache. Selten lagen sie so oft daneben; kaum jemals haben sich so viele Wähler offenbar in letzter Minute noch umentschieden.

Vor allem Rick Santorum pflegt die Demoskopen zu düpieren. Auch vor einer Woche schnitt er wieder besser ab, als sie es einhellig erwartet hatten (siehe Santorums Überraschungs­sieg. Romney bleibt Favorit. Warum Gingrich weitermacht; ZR vom 14. 3. 2012). Niemand hatte Santorum am 13. März in Mississippi in Führung gesehen. Sowohl Romney als auch Gingrich lagen vor ihm; mit einem weiten Vorsprung von sieben oder acht Prozentpunkten. Das mathematische Modell von Nate Silver hatte die Wahrscheinlichkeit eines Siegs von Rick Santorum mit 2 Prozent berechnet. Aber er gewann; wie auch in Alabama.

Über die möglichen Ursachen für diese Diskrepanz hat Nate Silver einige Vermutungen angestellt:
  • Engagement der Wähler. Es gibt aus Umfragen Hinweise darauf, daß die Anhänger Santorums für ihren Kandidaten besonders engagiert sind. Sie gehen deshalb vielleicht auch eher wirklich zur Wahl; während die Anhänger Romneys oder Gingrichs sich möglicherweise eher einmal in letzter Minute dafür entscheiden, doch lieber zu Hause Kaffee zu trinken, oder am Wahltag einen kleinen Ausflug zu machen. Die Vorhersagen der US-Demoskopen basieren zwar meist auf den Daten von likely voters, wahrscheinlich zur Wahl Gehenden. Aber likely muß eben nicht gleich likely sein.

  • Anruf ins Festnetz oder auf ein Handy. Bei den wichtigen politischen Umfragen werden inzwischen in der Regel auch Handys angerufen; bei Vorwahlen verzichten die Institute hierauf aber meist. Dadurch sind in ihren Stichproben Wähler unterrepräsentiert, die nur noch ein Handy besitzen. Grundsätzlich könnten das die Vorhersage verzerren. Es gibt schwache Hinweise darauf, daß Santorum vor allem dort besser als vorhergesagt abschnitt, wo es viele Wähler ohne Festnetz-Anschluß gibt. Statistisch signifikant ist das aber nicht. Gegen diese Hypothese spricht auch, daß es bei Ron Paul, der besonders viele junge Anhänger hat, bisher keine systematische Abweichung von den Ergebnissen der Umfragen gibt.

  • Soziale Konformität. Ein Grundproblem der Demoskopie ist es, daß Befragte statt ihrer wahren Meinung unter Umständen das sagen, wovon sie denken, daß es sozial erwünscht ist; daß es von ihnen erwartet wird. Besonders in konservativen Gegenden gibt es eine solche Tendenz; sie könnte im protestantischen Süden der USA gegen den Katholiken Santorum gewirkt haben. Ich habe das schon einmal in einem früheren Artikel dieser Serie erläutert (Heute wird in Alamaba und Mississippi gewählt. Warum es diesmal spannend ist. Die Parteien in den Südstaaten; ZR vom 13. 3. 2012).

  • Taktisches Wählen. Wähler ändern mitunter in Abhängigkeit von Umfrageergebnissen noch ihre Entscheidung; insbesondere schwenken sie zu einem aussichtsreicheren Kandidaten, wenn sie den Umfragen entnehmen, daß ihr ursprünglicher Kandidat keine Chancen hat. Allerdings erklärt das nicht, warum anscheinend Wähler in Alabama und Mississippi zu Santorum wechselten, der dort ja gerade zurückgelegen hatte.
  • Der vorsichtige Methodiker Nate Silver möchte sich zwischen diesen möglichen Faktoren nicht entscheiden. Das Fazit lautet jedenfalls, daß auch heute in Illinois Santorum für eine Überraschung gut sein könnte.



    Sie müßte allerdings ähnlich groß ausfallen wie vor einer Woche in Mississippi, wenn das Ergebnis ein Sieg Santorums sein sollte. Nach Nate Silvers letzter Berechnung (gestern Abend 11.00 MEZ) wird Romney 45,5 Prozent erhalten; Santorum 31,4 Prozent; Gingrich 13,6 Prozent; und Ron Paul 9,0 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, daß Santorum gewinnt, berechnet Silvers Modell mit 3 Prozent.

    Aber für Mississippi hatte es sie ja mit 2 Prozent berechnet. Allerdings spricht nicht nur die Mathematik, sondern auch die Demografie dagegen, daß sich für Santorum heute das Wunder von Mississippi wiederholt.

    Denn Illinois ist kein Staat mit einem hohen Anteil von Konservativen. Silver hat es einen Staat des Nordostens genannt, gefangen im Körper eines Staates des Mittelwestens. Es grenzt an Staaten des Mittelwestens - Iowa im Nordwesten, Missouri im Südwesten, Kentucky im Südosten; und es wird meist dem Mittelwesten zugerechnet. Aber Chicago mit seinem Umland, wo fast zwei Drittel der Bevölkerung und ungefähr die Hälfte der republikanischen Wähler wohnen, grenzt direkt an den Industriestaat Wisconsin und ist eines der großen urbanen Zentren der USA.

    Dort wählt man, wie überall in den städtischen Ballungsgebieten der USA, in der Regel mehrheitlich die Demokratische Partei. Die republikanische Minderheit ist eher moderat eingestellt als konservativ; es ist also Romney-Land. Alles andere als Romneys Sieg in diesem Teil von Illinois wäre eine Sensation.

    Wenn Santorum eine Chance hat, dann in den ländlichen Gegenden nach Süden hin; dort, wo es sozusagen immer mittelwestlicher wird. Sollte er auch in Illinois wieder besser abschneiden, als es ihm die Demoskopen prophezeien, dann könnte dafür eine hohe Wahlbeteiligung in diesen südlicheren Landkreisen und eine schwache Wahlbeteiligung in der Gegend von Chicago ursächlich sein.

    Insofern verspricht auch diese Wahlnacht doch noch eine gewisse Spannung. Aber wie dargelegt - für das Rennen um die Nominierung wird der Ausgang wenig bedeuten. Alle Vier werden weiter rennen; sehr wahrscheinlich bis nach Tampa, Florida.




    Nachtrag am 21. 3., 11.00 Uhr:

    Es sind jetzt 99 Prozent der Stimmen ausgezählt. Danach erhielten (in Klammern die letzte Vorhersage von Nate Silver) Romney 46,7 Prozent (45,5), Santorum 35,0 Prozent (31,4), Paul 9,3 Prozent (9,0) und Gingrich 8,0 Prozent (13,6).

    Paul hat also den erwarteten Wert erreicht. Gingrich ist weit darunter geblieben. Das könnte bedeuten, daß hier das oben erläuterte taktische Wählen eine Rolle spielte: Da Gingrich ohnehin nicht gewinnen konnte, könnte sich ein Teil seiner Wähler Romney oder Santorum zugewandt haben. (Umfragen besagen, daß Gingrichs Wähler in ungefähr gleicher Proportion zum einen oder zum anderen als ihrer zweite Wahl tendieren).

    Das ist natürlich eine nachträgliche Spekulation. In jedem Fall hat auch jetzt wieder Santorum überraschend gut abgeschnitten (fast vier Prozentpunkte über dem von Silver errechneten Wert). In der Berichterstattung geht das ein wenig unter; verständlich angesichts des deutlichen Siegs von Romney.

    Dieser wird allerdings in gewisser Hinsicht relativiert, wenn man den finanziellen Aufwand der beiden führenden Kandidaten in Rechnung stellt. Laut dem Internet-Magazin Politico gab Romney in Illinois siebenmal so viel Geld für Wahlwerbung aus wie Santorum; in Chicago sei das Verhältnis sogar 21:1 gewesen.

    Nate Silver weist indes darauf hin, daß insgesamt in Illinois eher wenig für die Wahlwerbung ausgegeben wurde; von Romney ungefähr 29 Cent pro Kopf der Bevölkerung, von Santorum 4 Cent. In Iowa beispielsweise - wo Santorum gewann - hatte Romney 1,40 Dollar pro Kopf ausgegeben, in South Caroline 94 Cent.

    Und auch das sind noch bescheidene Werte im Vergleich zu dem, was im eigentlichen Wahlkampf - noch sind wir ja im Vorwahlkampf - ausgegeben wird. Bei den Wahlen 2008 investierte beispielsweise Barack Obama in New Hampshire 8,21 Dollar pro Kopf der Bevölkerung; John McCain 4,82 Dollar.

    Es ist also ein irriges Bild, daß Romney mit einer Art finanzieller Dampfwalze Santorum überrollt; umgekehrt sind dessen Mittel ungewöhnlich bescheiden. Wie überhaupt die Bedeutung der den Kandidaten zur Verfügung stehenden Mittel in unseren deutschen Medien oft überschätzt wird; vielleicht, weil sie so schön in das Klischee vom kapitalistischen Amerika paßt, in dem man für Geld alles bekommen kann.

    In Illinois gaben Romney und sein Unterstützungskomitee (Super PAC) 2.674.057 Dollar aus; Romney erhielt (nach 99 Prozent ausgezählten Stimmen) 428.434 Stimmen. Santorum und sein Komitee gaben 532.111 Dollar aus, und Santorum erhielt 321.079 Stimmen. Könnte man Stimmen kaufen, dann hätte Santorum ein Schnäppchen gemacht; er gab dann pro Stimme 1,66 Dollar aus. Romney hingegen hätte dann Stimme für Stimme für jeden seiner Wähler 6,24 Dollar berappt.­
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008.