2. März 2012

Wahlen in Rußland, Frankreich, dem Iran: Welches ist die Ausgangslage? (Teil 2: Iran)

Der Iran ist bekanntlich kein demokratischer Rechtsstaat, sondern eine klerikale Diktatur. Insofern kann dort nicht von Wahlen im selben Sinn die Rede sein, in dem in Deutschland, den USA oder Frankreich gewählt wird. (Der Fall Rußland ist schon uneindeutiger; siehe den ersten Teil dieses Artikels).

Aber es findet heute unter dem Etikett "Wahlen" doch ein Ereignis statt, das eine nähere Betrachtung wert ist, ja das spannend werden könnte. ­ Im folgenden stütze ich mich hauptsächlich auf die Analyse, die gestern bei Stratfor erschienen ist.

Wahlen im eigentlichen Sinn sind diese "Parlamentswahlen" deshalb nicht, weil es keine Opposition gibt; ja selbst reformistische Politiker des Mullah-Regimes wurden größtenteils nicht zur Kandidatur zugelassen. Viele derer, die 2009 einen Reformkurs versucht hatten, stehen inzwischen unter Hausarrest oder sitzen im Gefängnis.

Dennoch gibt es so etwas wie eine Entscheidung - die Wahl zwischen Pest und Cholera, wenn man es drastisch ausgedrückt mag. Es stehen sich gegenüber: Das erzkonservative klerikale Establishment aus Mullahs und eine erzkonservative populistische Fraktion, deren Anführer der Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad ist.

Der Prüfstein, ob jemand zur einen oder zur anderen Fraktion gehört, ist die Frage, ob der Oberste Führer der Revolution, der Ayatollah Ali Khamenei, faslol chatab hat - die letzte Entscheidung in allen Fragen. Wer das anzweifelt und etwa dessen Entscheidungen als lediglich "Vorschläge" verstanden wissen will, der bekennt sich damit zur Ahmadinedschad-Fraktion und muß mit Verfolgung durch die Khamenei-Kräfte rechnen. Der Chef der iranischen Nachrichtenagentur IRNA, Ali Akbar Javanfekr, wurde beispielsweise verhaftet, weil er diese Meinung vertreten hatte. Inzwischen wurde er freigelassen, aber es wurde ihm jede politische Betätigung untersagt.



Hinter diesen Machtkämpfen verbirgt sich ein struktureller Widerspruch im iranischen politischen System: Es ist einerseits eine Theokratie; die Herrschaft eines Klerus, der keiner Legitimation durch Wahlen bedarf. Andererseits hat man aber doch gewisse Elemente einer säkularen Verfassung eingebaut - mit einem Präsidenten, der, wie jetzt Ahmadinedschad, kein Geistlicher sein muß; und eben mit einem gewählten Parlament, der Madschlis.

Da die Opposition und die Reformer innerhalb des Regimes ausgeschaltet sind, spielt sich die "Wahl" zwischen den hinter Ahmadinedschad stehenden Kräften und dem Klerus ab. Ahmadinedschad stützt sich vor allem auf die Unterschicht, insbesondere die verarmte Landbevölkerung, sowie auf Unzufriedene innerhalb des Establishments; der Klerus hat Unterstützung von denen, die innerhalb des Regimes ihr Auskommen gefunden haben. Zwischen beiden steht eine Dritte Kraft, die aber nicht an den Wahlen beteiligt ist: Die immer mächtiger werdende "Garde der Islamistischen Revolutionswächter" (IRGC). Ihre Mitglieder unterstützen teils die eine, teils die andere Fraktion.

Vor allem seit den Unruhen im Jahr 2009 gibt es zwischen den beiden Fraktionen Auseinandersetzungen. Näheres zum Hintergrund habe ich, gestützt auf einen kundigen Artikel von Jerry Guo in Foreign Affairs, im Oktober 2009 berichtet ("Das System radikalisiert sich". Ein Bericht aus dem Iran; ZR vom 14. 10. 2009).

Mittlerweile haben die Auseinandersetzungen zwischen Ahmadinedschad und dem Klerus zum Teil heftige Formen angenommen. Beispielsweise hat Ahmadinedschad gegen den ausdrücklichen Willen Khameneis am 18. April 2011 den Geheimdienstchef Heidar Moslehi gefeuert; zuvor schon den Außenminister Manuchehr Mottaki. Das war Ahmadinedschads Retourkutsche dafür, daß er auf Anordnung Khameneis im Jahr 2009 seinen engsten Mitarbeiter, Esfandiar Rahim Maschaei, als Vizepräsidenten hatte entlassen müssen. Allerdings stellte er ihn dann als seinen Stabschef wieder ein. Als weiterer Teil dieses Machtkampfs wurden Mitarbeiter Ahmadinedschads wegen Korruption vor Gericht gestellt.



Eine besondere Note erhält der jetzige Kampf um die Kontrolle der Madschlis durch eine Bestimmung der iranischen Verfassung: Ein Präsident darf drei Amtszeiten haben, aber nicht ohne Unterbrechung. Ahmadinedschads zweite Amtszeit endet 2013. Danach muß er für eine Amtszeit pausieren, könnte aber 2017 erneut antreten. Entscheidend wird sein, wer ab 2013 Staatspräsident wird - ein Statthalter Ahmadinedschads, ein persischer Medwedew sozusagen, oder ein Mann des Klerus, der 2017 Ahmadinedschad die Rückkehr in das Amt verwehren könnte.

Insofern ist die heutige Parlamentswahl so etwas wie ein Referendum über Ahmadinedschad. Zwar treten in einzelnen Wahlkreisen bis zu 10 Kandidaten an; aber sie lassen sich fast durchweg dem einen oder dem anderen Lager zuordnen. Am 20. März soll sich Ahmadinedschad vor der Madschlis einer Befragung stellen; spätestens dann wird man wissen, wie die neuen Kräfteverhältnisse sind.

Auf längere Sicht könnten aber die lachenden Dritten die Revolutionswächter sein. Sie sind inzwischen in allen Bereichen der Gesellschaft in führenden Funktionen tätig; von der Verwaltung über die Politik bis in die Geschäftswelt. Wie iranische Medien berichten, könnte der Kommandeur der auf Terrorakte spezialistierten Kuds-Brigaden innerhalb der IRGC, Kassem Suleimani, sogar demnächst vom Dienst entbunden werden, um 2013 für die Präsidentschaft zu kandidieren.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette von der Autorin Daniella Zalcman unter Creative Commons Attribution 2.0 Generi-Lizenz freigegeben.