21. Mai 2012

Zettels Meckerecke: "Ich bin überzeugter Europäer", sagt Sarrazin. Das Freiheitsverständnis des Generalsekretärs der FDP. Der Euro und der Holocaust

Ich bin überzeugter Europäer und glaube auch an europäische Integration. Allerdings sage ich, daß ich Europa aus drei Elementen definiere: Frieden und Freiheit, Wohlstand und Arbeit für alle, die arbeiten wollen, - auskömmliche Arbeit. Das sind für mich die drei Dinge. Und soweit europäische Integration dafür einen Beitrag liefert - sehr gut! Ich behaupte, daß eine gemeinsame Währung für diese drei Elemente nicht notwendig war. Sie schadet auch nicht. Wenn sie funktioniert, dann kann sie sogar Nutzen bringen.
Kernaussage von Thilo Sarrazin in seinem Streitgespräch mit Peer Steinbrück gestern Abend bei Günter Jauch. Eine Aufzeichung der Sendung können Sie sich hier ansehen.

Kommentar: Als diese Sendung angekündigt worden war, sagten laut "Bild am Sonntag":
  • Reinhold Robbe (SPD), Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft: "Das ist so schwachsinnig, dass man darüber gar nicht diskutieren sollte. Mit Sarrazin sollte sich niemand mehr in eine Talkshow setzen."

  • Renate Künast, gescheiterte Kandidatin für das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und Fraktionsvorsitzende der "Grünen" im Bundestag: "Nationalistischer Unsinn von Sarrazin passt nicht zum Bildungsauftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders."

  • Jürgen Trittin, der sich mit ihr dieses Fraktionsamt teilt: "Man kann den Holocaust leugnen oder ihn wie Thilo Sarrazin zur Verbreitung antieuropäischer Rechtspopulismen instrumentalisieren. Beides ist gleich unerträglich. Man wundert sich nur, dass Sarrazin mit dieser offen rechten Ideologie immer noch in der SPD sein kann."

  • Der Generalsekretär der FDP, Patrick Döring: "Sarrazin verknüpft die Frage der historischen Verantwortung Deutschlands unzulässig mit der aktuellen währungs­politischen Debatte. Das hat im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nichts zu suchen."
  • Bei Robbe unterstelle ich, daß er sich als SPD-Politiker geäußert und nicht etwa für die Deutsch-Israelische Gesellschaft gesprochen hat. Denn mit Deutschlands Verhältnis zu Israel hat Sarrazins Stellung zum Euro exakt nichts zu tun.

    Von Künast und Trittin ist nicht anderes zu erwarten, als daß für beide die Freiheit dort endet, wo sie zum Recht des Andersdenkenden werden würde, sich frei zu äußern. Künast und Trittin für ihre illiberale Haltung zu kritisieren, wäre so albern, als würde man Gregor Gysi dafür kritisieren, daß er den Sozialismus will.

    Daß aber der Generalsekretär der einzigen liberalen Partei Deutschlands, daß Patrick Döring sich in den Chor freiheits­feindlicher Äußerungen eingereiht hat, das ist beschämend. Was bildet dieser Mann sich ein, daß er darüber befinden kann, wer und was "im öffentlich-rechtlichen Fernsehen" etwas "zu suchen" hat?

    Und wie konnte eigentlich er, wie konnten auch die anderen Möchtegern-Zensoren wissen, was denn Sarrazin überhaupt sagen würde?



    Der militante Salafist Pierre Vogel war, so konnte man es kürzlich im "Spiegel" (Heft 8/2012 vom 18. 2. 2012, S. 48-50) lesen, Gast in den Talkshows von Kerner, Maischberger und Plasberg. Ich kann mich nicht erinnern, daß damals jemand von der Spitze der "Grünen" oder daß ein Generalsekretär der FDP gegen dessen Einladung protestiert hätte.

    Die Zensurversuche in Deutschland richten sich zunehmend nicht gegen die Feinde der Freiheit, sondern gegen unabhängige Publizisten wie Sarrazin, die Kritik an Mehrheits­meinungen äußern. Es wäre die ureigenste Aufgabe einer liberalen Partei, für die Freiheit der Meinungsäußerung einzutreten. Der Generalsekretär der FDP hat das Gegenteil getan; sich als Rufer nach Zensur aufgespielt.

    Günter Jauch hat den Mut, sich derartigen Pressionen zu widersetzen. Er wächst immer mehr in diejenige Rolle hinein, die einst der Moderator Werner Höfer hatte. Ein unabhängiger, unaufgeregt-sachlicher und zugleich mutiger Journalist. Eine Ausnahmeerscheinung in diesem Deutschland, in dem nicht einmal mehr führende Liberale für die Freiheit der Diskussion eintreten; ja in dem sich jemand wie Döring in den Chor der Freiheitsfeinde einreiht.



    Und wie war das nun mit dem Holocaust? In der Sendung wurde die folgende Passage aus Sarrazins (bekanntlich noch gar nicht erschienenem) Buch eingeblendet:
    In der deutschen Politik votieren Vertreter der SPD, der Grünen und der Linkspartei mehrheitlich für Eurobonds. (...) [Diese Politiker seien] ... getrieben von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für den Holocaust und Weltkriege erst getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben.
    Dazu bemerkte Sarrazin trocken: "Wurde eben bestätigt von Peer Steinbrück".

    In der Tat. Denn wenige Augenblicke zuvor hatte Steinbrück gesagt:
    Der Euro ist eine wichtige, tragende Säule dieser europäischen Integration, und diese europäische Integration ist in meinen Augen auf der einen Seite die Antwort auf 1945.
    Steinbrück und Sarrazin sagen dasselbe: Die deutsche Europapolitik ist - auch - eine Reaktion auf die Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts und die deutsche Verantwortung für dessen Katastrophen. Steinbrück begrüßt das, Sarrazin lehnt es ab, was die Einführung und Beibehaltung des Euro angeht. Das ist alles.

    Sarrazin erläutert dann im weiteren Verlauf des Gesprächs diese seine Position; eine absolut honorige Position (am besten hören Sie es sich an, ab 0:22). Er analysiert im einzelnen die Gründe, die für den Euro ins Feld geführt werden. Er kommt dann - als dem dritten oft genannten Grund - auf die deutsche Schuld zu sprechen und fragt, ob man sie als Argument für den Euro verwenden soll:
    Sollen wir wegen der deutschen Schuld aus der Vergangenheit, aus der Nazi-Diktatur und dem Völkermord, darüber hinaus - kann das ein Argument für eine gemeinsame Währung sein? Und ich sage: Nein, das kann kein Argument für eine gemeinsame Währung sein. (...) Die Frage, die wichtige Frage, was wir für eine Währungsunion haben, mit wem wir eine gemeinsame Währung haben oder nicht, ist eine komplizierte Frage (...), die man wirklich vollständig trennen muß von der Frage der deutschen Schuld und der Vergangenheit.
    Daß diese Meinung in der ARD geäußert wird, wollte Patrick Döring, Generalsekretär der liberalen Partei FDP, unterbunden wissen. ­
    Zettel



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