7. Oktober 2012

Marginalie: Romneys Umfragewerte steigen deutlich an. Warum Obama trotzdem weiter die besseren Chancen hat

Sehen Sie sich bitte einmal diese interaktive Grafik von Pollster an. Es ist ein sogenannter poll of polls, eine Erhebung über die Erhebungen der Umfrageinstitute zu den Präsidentschaftswahlen.

Pollster wertet fortlaufend die Daten aller Institute, Universitäten und sonstigen Einrichtungen aus, die Umfragen zu diesem Thema veranstalten, und berechnet daraus in Abständen von wenigen Stunden die jeweiligen aktuellen Mittelwerte für die beiden Kandidaten.

Jeder der Datenpunkte steht für eine Umfrage; das Datum und das Ergebnis können Sie sehen, wenn Sie den Cursor auf diesen Punkt führen. Die blaue (für Obama) und die rote (für Romney) Kurve zeigen den Verlauf der Mittelwerte. Wenn Sie den Cursor auf eine Stelle auf einer der Kurven führen, dann sehen Sie für das betreffende Datum die Mittelwerte der beiden Kandidaten.

Im Augenblick beträgt der Wert für Barack Obama 47,6 Prozent und für Mitt Romney 46,0 Prozent. Für Romney ist das der beste bisher überhaupt ermittelte Wert; der zweitbeste waren 45,5 Prozent am 9. Mai gewesen. Die Kurven zeigen, wie stark sich der Abstand zwischen den beiden Kandidaten in den letzten Tagen verringert hat. Noch am 27. September hatte Obama mit 4,2 Prozentpunkten Differenz geführt (48,7 Prozent zu 44,5 Prozent).

Auch die Umfragewerte in den wahlentscheidenden Staaten auf der Kippe (den swing states) haben sich zugunsten von Romney entwickelt. Umfragen, die am Freitag und Samstag durchgeführt wurden, zeigen ihn in Führung in den swing states Virginia, Florida und Colorado. In dem möglicherweise wahlentscheidenden Staat Ohio, in dem Obama in den letzten Wochen deutlich in Führung gelegen hatte, gab es am Donnerstag zwei Umfragen, von denen eine Obama und eine Romney mit jeweils einem Prozentpunkt Differenz in Führung sah.

Es gibt damit jetzt starke Hinweise darauf, daß sich Romneys klarer Sieg bei der Debatte am Mittwoch auf seine Umfragewerte auszuwirken beginnt. Könnte das die Wende in diesem Wahlkampf sein?

Kommenden Dienstag sind es noch genau vier Wochen bis zur Wahl am 6. November. Reicht das, um diesen Wahlkampf noch zu drehen, in dem - auch das können Sie der eingangs verlinkten Grafik entnehmen - mit Ausnahme eines einzigen Tags Barack Obama stets - wenn auch oft knapp - vorn gelegen hat?



Am Freitag Abend hat Nate Silver die Situation analysiert. Die letzten Umfragedaten gingen also in diese Analyse nicht mehr ein; aber der Trend zugunsten von Romney war schon deutlich zu erkennen. Das begann sich auch in Silvers mathematischem Modell zu zeigen, das aber konservativ ist; d.h. es reagiert auf Veränderungen erst, wenn genügend Daten vorliegen, die sie anzeigen. Silver erwartet deshalb in seinem Modell eine stärkere Verschiebung zugunsten von Romney in den kommenden Tagen.

Aber das relativiert sich, wenn man sich den Ist-Zustand ansieht: Gegenwärtig gibt das Modell Obama eine Gewinnchance von 80 Prozent mit 300 Wahlleuten (benötigt werden für einen Sieg 270 Elektoren). Auch wenn Romneys Umfragewerte sich in den kommenden Tagen noch weiter verbessern sollten, wird er noch weit von einem Sieg entfernt sein. Jedenfalls sagt das Silvers Modell, das nicht nur Umfragedaten einbezieht, sondern auch Erfahrungswerte, was beispielsweise die Auswirkung von Wirtschaftsdaten angeht.

Silver weist auf einige weitere Unsicherheitsfaktoren hin:
  • Wer antwortet überhaupt bei einer Telefonumfrage? Viele Angerufene hängen sofort auf, wenn sie merken, daß sie befragt werden sollen. Vor allem bei automatisierten Umfragen liegt der Prozentsatz derer, die überhaupt antworten, manchmal bei nur drei oder vier Prozent. Das sind in der Regel die besonders politisch Interessierten; also auch diejenigen, die wahrscheinlich die Debatte am Mittwoch verfolgt haben und möglicherweise von ihr beeinflußt wurden.

  • Hinzu kommt ein parteispezifischer Effekt: Gelingt einem der Kandidaten ein Erfolg, dann mobilisiert das dessen Anhänger, und sie sind eher bereit, in einer Telefonumfrage zu antworten. Nach Romneys Erfolg am Mittwoch könnte das die Umfragen zusätzlich zu seinen Gunsten verzerrt haben. Das würde - so Silver - möglicherweise erklären, warum sich in der US-weiten Umfrage des Instituts Rasmussen keine Verbesserung zugunsten von Romney zeigte; denn dort wird die Stichprobe so gezogen, daß Demokraten und Republikaner proportional zu deren Anteilen in der Gesamtbevölkerung vertreten sind.

  • Der dritte Faktor liegt auf einer anderen Ebene: Am Freitag sind die aktuellen Zahlen zum Arbeitsmarkt veröffentlicht worden, die einen leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit zeigen. Sieht man sich die genauen Zahlen an, dann ist er bescheiden: Er betrifft nur wenige Branchen, nämlich Verkehr, Gesundheit und Warenhäuser; und er beschränkt sich auf weiße Erwachsene, während die Jugendarbeitslosigkeit und die von Schwarzen und Hispanics unverändert blieb. Aber für den Wahlkampf könnte Obama gleichwohl aus dem Rückgang der Arbeitslosigkeit Kapital schlagen.
  • Berücksichtigt man diese Faktoren, dann wäre es im Augenblick zumindest verfrüht, schon eine Wende im Wahlkampf zu diagnostizieren, die einen Sieg Romneys wahrscheinlich machen würde. Mit Sicherheit aber kann man sagen, daß der Niedergang Mitt Romneys, der die letzten Wochen geprägt hatte, jetzt vorüber ist. Er ist zurück im Spiel; auch wenn es bis zum Matchball noch weit ist.

    Deutlicher als in den Umfragen schlägt sich das übrigens bereits in der Spendenbereitschaft nieder: Restore Our Future, eine der Organisationen (sogenannte super PACs), die für Romney Spenden sammeln, erreichte Rekordeinnahmen. Nach der Debatte am Mittwoch sei "alle zwei Sekunden eine Spende eingegangen", tweetete ihre Sprecherin Andrea Saul.
    Zettel



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