25. November 2012

Es ist sozial ungerecht, keine Studiengebühren zu erheben. Warum nicht Harvard zum Vorbild nehmen?

Die Ausbildung zur Medizinisch-Technischen Assistentin kostet - nehmen wir das Geraer Bildungs­zentrum für medizinsche Heilberufe als Beispiel - 6.840 Euro an Schulgeld. Die Ausbildung zur Ärztin ist an den meisten deutschen Universitäten kostenlos. (Studien­gebühren werden nur noch in Bayern und Niedersachsen erhoben; in Bayern vielleicht bald auch nicht mehr).

Betriebswirt mit akademischem Abschluß kann man an fast jeder deutschen Universität werden, ohne für das Studium zu zahlen. Wenn der Betriebswirt dann in den Beruf geht und Chef wird, dann hat er vielleicht eine Sekretärin (heute heißt sie - kein Witz! - "Fachkauffrau für Büromanagement"), die für ihre dreisemestrige Ausbildung beispielsweise an der Kölner BAW-Schule monatlich 180 Euro bezahlt hat.

Ob man für eine Ausbildung zahlen muß oder nicht, hängt nicht von deren Qualität ab, nicht von den Zugangs­voraus­setzungen und nicht von dem zu erwartenden späteren Gehalt. Es hängt allein davon ab, ob man diese Ausbildung im Rahmen eines Universitätsstudiums erhält oder nicht. Studieren ist in Deutschland überwiegend gratis. Sich außeruniversitär für einen Beruf ausbilden zu lassen ist das in der Regel nicht.

Darin ist keine Logik und keine Vernunft. In der Tendenz sind es eher die besser bezahlten Berufe, die zu erlernen nichts kostet - Arzt, Lehrer, Ingenieur. Diejenigen, die diesen Akademikern später zuarbeiten - die Sekretärinnen, Assistenten, Techniker usw. - haben dagegen oft für ihre Ausbildung zahlen müssen.

Mit anderen Worten: Die Ausbildung der späteren Besserverdiener zahlt die Allgemeinheit. Die Ausbildung der später weniger gut Verdienenden zahlen sie selbst; übrigens auch als Lehrlinge ("Auszubildende"), denn in deren Vergütung sind die Ausbildungskosten natürlich eingepreist.



Studiengebühren sind also eine Frage sozialer Gerechtigkeit. Es ist Ausdruck sozialer Ungerechtigkeit, wenn der Sohn des Spitzenbeamten seine Ausbildung kostenlos erhält, finanziert aus den Steuergeldern auch des Bäckers, bei dem er seine Brötchen kauft.

Sozial gerecht wäre es, wenn der Student für die Leistungen der Professoren und Mitarbeiter, die er in Anspruch nimmt, ebenso zahlen müßte wie für jede andere Dienstleistung; und wenn zugleich denen, deren Eltern das nicht finanzieren können, umfassend Stipendien zur Verfügung gestellt würden.

So, wie das an den amerikanischen Privatuniversitäten der Fall ist. Harvard beispielsweise wählt seine Studenten allein nach Leistung aus (nur ungefähr jeder zwölfte Bewerber wird genommen). Die Zahlungsfähigkeit spielt keine Rolle. Wer es kann, der zahlt die vollen Studiengebühren. Wer es nicht kann, der erhält ein Stipendium. Von den Bachelor-Studenten (undergraduates) zahlt nur jeder Dritte die volle Studiengebühr. Die Einzelheiten finden Sie hier: Harvard ist in finanziellen Schwierigkeiten. Einige weniger bekannte Fakten über amerikanische Eliteuniversitäten; ZR vom 11. 12. 2008.



In der "Zeit" der vergangenen Woche ist zu diesem Thema eine Notiz von Thomas Kersten erschienen; Leiter des Ressorts "Chancen". Sie ist seit gestern auch bei "Zeit-Online" zu lesen. Kersten weist darauf hin, daß in Deutschland in sieben Ländern Studiengebühren bereits eingeführt worden waren. Aber nur Bayern und Niedersachsen haben sie derzeit noch.

Abgeschafft wurden sie, weil - so Kersten - der "Kampf gegen die vermeintlich unsozialen Studiengebühren ... ein zu verlockendes Wahlkampfthema für SPD und Grüne" sei. Der Wahlkämpfer Seehofer hat dieses Thema nun auch entdeckt.

Die Aussicht, etwas geschenkt zu bekommen, ist eben ein starkes Argument dafür, den Schenker zu wählen; das wußten schon die Politiker Roms, die ihrer Klientel panem et circenses offerierten.

Kersten glaubt, daß das Sterbeglöcklein für die Studien­gebühren noch nicht läutet:
Doch die Wette gilt: Schon bald werden Studiengebühren wieder auf der Tagesordnung stehen. Die Länder haben zu wenig Geld, die Hochschulen auf Dauer so auszustatten, wie es für Spitzenforschung und gute Studienbedingungen nötig wäre. Da ist ein kleiner Obolus der Studenten hilfreich.
Das erscheint mir sehr optimistisch. Die Befreiung von Studiengebühren wird in Deutschland - zu Unrecht, wie dargelegt - als eine soziale Errungenschaft wahrgenommen; und den sozialen Fortschritt dreht man in diesem Land nicht zurück. Was ist dagegen Spitzenforschung, was sind dagegen gute Studienbedingungen?

Spitzenforschung erreichen Universitäten dann und um beste Studienbedingungen bemühen Universitäten sich dann, wenn sie in Konkurrenz mit anderen Hochschulen stehen: Konkurrenz um Forschungsmittel; aber auch Konkurrenz um Studiengebühren.

Wer ein exzellentes Studium anbietet, der kann auch hohe Gebühren verlangen. Aus hohen Gebühren kann man ein ausgezeichnetes Studienangebot finanzieren und sich die besten Studenten aussuchen; was wiederum der Spitzenforschung zugute kommt. Ausführlicher beschrieben finden Sie diese Zusammenhänge hier: Lernen Studenten die Wissenschaft kennen? Subjektive Überlegungen, persönliche Erfahrungen. Nebst einer Anmerkung zur Ethik; ZR vom 26. 2. 2011.

Unter den besten Universitäten der Welt liegt die beste deutsche - die TU München - auf Platz 53. Sie können in der verlinkten Liste auch sehen, was das Studium an den 52 Universitäten weltweit kostet, die vor der besten deutschen rangieren.
Zettel



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