26. November 2012

Marginalie: Ein "Psychodrama" in Paris. Tohuwabohu in der ehemaligen Regierungspartei UMP. Soeben wurde ein Gerichtsvollzieher tätig

Nach Wahlen geht es in den Parteien der Verlierer oft unruhig zu; man erlebt das gerade bei den US-Republikanern. Was sich aber in der französischen gaullistischen UMP seit der Niederlage François Sarkozys abspielt, das ist keine Unruhe. Es ist das Tohuwabohu oder vielleicht schon, wie der Nouvel Observateur schreibt, die Implosion der Partei.

Als Sarkozy gescheitert war, einigte man sich auf eine Urwahl zur Kür des Parteivorsitzenden. Das Verfahren war, wie so etwas in Frankreich meist ist, kompliziert. Wer kandidieren wollte, mußte zunächst einmal mindestens 7.924 Unterschriften von Unterstützern aus mindestens zehn Bezirksverbänden beibringen. Daran und aus anderen Gründen scheiterten alle Kandidaten bis auf zwei: François Fillon, der unter Sarkozy Premierminister gewesen war, und Jean-François Copé, Generalsekretär der Partei.

Am 18. November fand diese Urwahl statt. Aber ein klares Ergebnis gab es nicht.

Schon der "Wahlkampf" zwischen den beiden Kandidaten war giftig gewesen. Die Anhänger Fillons warfen Copé vor, seine Position als Generalsekretär zu nutzen, um den Parteiapparat vor seinen eigenen Karren zu spannen. Dann wurde das Ergebnis der Urwahl bekanntgegeben: 87.290 Stimmen für Fillon, 87.388 Stimmen für Copé. Eine Überraschung, denn in den Umfragen unter den Anhängern der UMP hatte Fillon weit vorn gelegen.

Die Mitglieder aber schienen anders entschieden und Copé diesen Vorsprung von 98 Stimmen gegeben zu haben. Fillon focht das Ergebnis sofort an: Es seien die Stimmen aus den drei Übersee-Wahlkreisen Wallis-et-Futuna, Mayotte und Neukaledonien schlicht übersehen worden; und zwar, weil dort, anders als sonst im überseeischen Frankreich, nicht per Briefwahl, sondern in Wahllokalen abgestimmt worden war. Die eigene Auszählung der Fillon-Leute ergab, daß dieser mit einem Vorsprung von 26 Stimmen gewonnen hatte.

Seither liegt man sich in den Haaren. Alain Juppé, zuletzt Außenminister Sarkozys, sollte vermitteln, was aber scheiterte. Heute tagt die Schiedskommission der Partei, die im Lauf des Nachmittags ihre Entscheidung bekanntgeben wird. Fillon will eine Wiederholung der Urwahl. Copé schließt das aus. Der Partei droht die Spaltung.



Mit Copé und Fillon stehen sich zwei Kandidaten gegenüber, die gegensätzlicher kaum sein könnten.

Copé hat die klassische Laufbahn französischer Spitzenbeamten und -politiker absolviert: Studium an der Eliteuniversität Science-Po und dann Aufnahme in die Kaderschmiede ENA (siehe Filz à la française. Des Präsidenten Hollande promotion Voltaire; ZR vom 30. 6. 2012; sowie Pierre Moscovici, Frankreichs Superminister für Wirtschaft und Finanzen. Die Karriere eines Linken. Eine Elitekarriere; ZR vom 8. 7. 2012). Copé ist der Mann des Apparats - des Staatsapparats, in dem er schon viele Funktionen innehatte; jetzt des Apparats der Partei UMP. Der perfekte Apparatschik.

Fillon hingegen ist ein volksnaher und volkstümlicher Politiker. Ein leiser, effizienter Mann, der im Habitus an Thomas de Maizière erinnert. Aufgewachsen in einem Provinzstädtchen westlich von Paris; Student an der Provinzuniversität Le Mans, bevor er dann doch nach Paris ging und seinen Abschluß als Jurist machte.

Fillon war während Sarkozys gesamter fünfjähriger Amtszeit populärer als dieser. Er hätte die UMP wieder aufrichten können; zumal Hollande einen miserablen Start als Präsident hingelegt hat. Stattdessen bietet die UMP jetzt, wie Le Monde schrieb, ein "Psychodrama".

Ein Drama, von dem vor allem eine Partei profitieren dürfte, wie Le Point heute schreibt: Der rechtspopulistische Front National von Marine Le Pen.

Inzwischen ist François Fillon vor Gericht gegangen und hat die Beschlagnahmung der Wahlunterlagen in der Zentrale seiner Partei beantragt. Das Gericht hat sie heute angeordnet. Am Vormittag ist ein Gerichtsvollziehr in die Parteizentrale gefahren und hat die Unterlagen erst einmal versiegelt.
Zettel



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