1. November 2012

Marginalie: Welche Folgen hat eine Wiederwahl Barack Obamas? Bemerkungen zu drei Aspekten

Der amerikanische Wahlkampf geht in seine Endrunde. Seine letzten Tage werden sehr wahrscheinlich nichts mehr an dem Ergebnis ändern, das sich abzeichnet: Barack Obama wird für weitere vier Jahr Präsident der USA sein.

Über die Daten, die diese Folgerung begründen, werde ich in einem getrennten Artikel innerhalb der Serie US-Präsidentschaftswahlen 2012 berichten. Vorab jetzt nur drei Randbemerkungen.



Wie wird sich ein Sieg Obamas auf die US-Innenpolitik auswirken?

Viel wird davon abhängen, ob er nur eine Mehrheit im Electoral College, dem Gremium der Wahlleute erreicht; oder auch mehr Stimmen als Romney beim popular vote, in der Verteilung der Wählerstimmen. Eine Spaltung zwischen den beiden Ergebnissen - ein split vote - würde seine Stellung schwächen; vor allem dann, wenn er es weiter mit einem Kongreß zu tun hat, in dem mindestens das Repräsentantenhaus von den Republikanern (der GOP) beherrscht wird.

Lange Zeit erschien ein split vote wahrscheinlich. Inzwischen sieht es so aus, als könne Obama auch beim popular vote eine Mehrheit erreichen. Nicht zuletzt der Wirbelsturm "Sandy", in der er nach allgemeiner Auffassung eine gute Figur gemacht hat, könnte dazu beitragen.

Ein mit einem split vote wiedergewählter Obama mit einem von der GOP kontrollerten Repräsentantenhaus würde vermutlich eine Politik der Mitte versuchen; ähnlich wie Bill Clinton in seiner zweiten Amtszeit.

Gewinnt Obama hingegen den popular vote und hat er es mit einem Kongreß zu tun, mit dem er relativ gut zurechtkommt, dann dürfte er dies als Mandat sehen, mit seiner sozialdemokratischen Umgestaltung der US-Gesellschaft fortzufahren. Da er ohnhin nicht noch einmal gewählt werden kann, brauchte er keine politischen Rücksichten mehr zu nehmen.



Wovon wird es abhängen, ob Obama den public vote gewinnt?

In Slate hat gestern John Dickerson in einem ausführlichen Artikel die Emails von noch unentschiedenen Wählern ausgewertet, die er eingeladen hatte, ihm ihre Überlegungen mitzuteilen.

Die Argumente waren im einzelnen sehr unterschiedlich, aber es zeichnete sich doch eine dominierende Linie ab:

Viele der noch Unentschiedenen sind unzufrieden mit Obama und/oder versprechen sich von einem Präsidenten Romney einen wirtschaftlichen Aufschwung.

Sie zögern aber, Romney ihre Stimme zu geben, weil sie befürchten, daß unter seiner Präsidentschaft der konservative Einfluß in der Gesellschaftspolitik (Abtreibung, die Rechte Homosexueller und ähnliche Themen) zu stark werden würde. Insbesondere rechnen sie damit, daß Romney konservative Richter für den Supreme Court ernennen würde, die dessen Rechtsprechung ändern könnten.

Die derart Abwägenden stellen einen Teil der Unentschiedenen; den der politisch besonders Interessierten. Es gibt aber auch einen zweiten Typus des Unentschiedenen: Der politisch kaum interessierte Bürger, der eher nach Sympathie oder momentaner Gestimmtheit entscheidet. Vor allem bei dieser Gruppe dürfte Obama nach "Sandy" Boden gewonnen haben.



Wie wird eine Wiederwahl Obamas sich auf die Außenpolitik auswirken?

Anne Applebaum, für US-Medien als Europakorrespondentin mit Sitz in London tätig, hat dazu gestern ihren Eindruck zusammengefaßt: Man sehe keinen großen Unterschied, ob nun Romney Präsident werde oder Obama es bleibe.

Auf die meisten Probleme der Welt, schreibt Applebaum, hätte die amerikanische Politik ohnehin kaum Einfluß - die Krise des Euro, die Entwicklungen in Libyen und Ägypten, die innenpolitischen Schwierigkeiten in Rußland und China. Der Mythos von der amerikanischen Supermacht sei vorbei; allenfalls ausgerechnet in der arabischen Welt glaubten noch einige daran.

Ähnlich hatte es schon Ende Juli George Friedman bei Stratfor analysiert: Die Macht des amerikanischen Präsidenten werde weit überschätzt. Innenpolitisch sei sie durch den Kongreß, das Oberste Gericht und die Bundesbank eingeschränkt; außenpolitisch durch die geopolitischen Realitäten.

Obama, meint Friedman, habe die außenpolitische Bühne mit großen Zielen betreten - eine neue Beziehung zu Europa, zur islamischen Welt beispielsweise. Nichts davon wurde Wirklichkeit. Jetzt würden Romney und Obama wiederum ihre Ziele formulieren. Ihr Handeln aber werde von den Realitäten bestimmt werden: "Presidents make history, but not on their own terms. They are constrained and harried on all sides by reality" - Präsidenten schreiben Geschichte, aber nicht so, wie sie wollen. Auf allen Seiten werden sie von der Realität beschränkt und gedrängt.
Zettel



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