3. November 2012

US-Präsidentschaftswahlen 2012 (41): Jetzt spricht alles für einen Sieg Obamas. Was passieren müßte, damit Romney es doch noch schafft

Wenn Sie verrückt nach Politik sind, empfahl vor einer Woche der Politico-Journalist Mike Allen seinen Lesern, dann genießen Sie diesen Wahlkampf: Solch einen spannenden Endspurt werden Sie nicht noch einmal erleben.

So war sie, die Situation vor einer Woche: Mit widersprüchlichen Daten und Prognosen, von denen die einen auf einen Sieg Romneys hindeuteten und die anderen darauf, daß Obama gute Chancen auf eine zweite Amtszeit hatte. Innerhalb dieser Woche aber hat sich die Lage völlig verändert. Jetzt spricht alles für einen Sieg Obamas am kommenden Dienstag. Nur wenn sehr Ungewöhnliches der Fall ist, kann Romney noch gewinnen.

Glaubte man Gallup, dem ältesten demoskopischen Institut und einem der renommiertesten der Welt, dann lag Mitt Romney vor einer Woche bei likely voters (denjenigen, die wahrscheinlich zur Wahl gehen werden) mit 51 zu 46 Prozent deutlich vor Barack Obama.

Das war nicht nur eine Momentaufnahme gewesen. Seit der ersten Oktoberhälfte hatte Romney bei dieser Auswertung von Gallup beständig in Führung gelegen; mit einem Abstand von nie weniger als drei und bis zu sieben Prozentpunkten. Auch die täglichen Umfragen von Rasmussen hatten einen solchen Vorsprung gezeigt.

In den polls of polls, in denen die Daten aller Umfragen zusammengefaßt werden, lag Romney seit der ersten Oktoberhälfte knapp, aber beständig vor Obama. Anschaulich zeigen das die Grafiken bei RealClearPolitics und Pollster. Sie sehen dort, wie sich die Schere allmählich schloß und Romney ab ungefähr dem 10. Oktober eine leichte Führung übernahm.

Der Trend hatte sich umgekehrt. Das begründete den Optimismus des Romney-Lagers: Nachdem er seit den Wahlparteitagen Ende August/Anfang September deutlich zurückgelegen hatte, startete Romney mit dem Duell vom 3. Oktober eine Aufholjagd; mit guten Chancen, am Ende den Sieg davonzutragen.

Welche Faktoren bewirkten, daß es für Romney zunehmend günstig aussah, habe ich am 22. Oktober analysiert: Er hatte (dem Vernehmen nach auf Anraten seines Sohns Tagg) zu seinem eigenen Stil zurückgefunden, wurde von den Wählern zunehmend als sympathisch wahrgenommen, konnte seine eigene Basis mobilisieren und hatte für die Endphase des Wahlkampfs mehr finanzielle Reserven als Obama.



Im selben Artikel vom 22. Oktober habe ich aber auch darauf aufmerksam gemacht, daß es dennoch keinen Grund für eine verfrühte Siegeszuversicht der Anhänger Romneys gab. Denn ausschlaggebend ist für die Wahl des Präsidenten nicht der Anteil an den Wählerstimmen (popular vote), sondern die Zahl der Wahlleute im Electoral College. Und dort bekommt die Mehrheit, wer die meisten Wahlleute der kritischen Staaten (swing states) für sich gewinnt.

Bei diesen sah es auch damals für Romney nicht so gut aus wie auf nationaler Ebene. Zwar rückte er in dem einen oder anderen dieser Staaten (Virginia, North Carolina und Florida) Obama auf die Pelle und überholte ihn sogar, aber unter dem Strich blieb Obama mit seinem Vorsprung in Nevada, Wisconsin, Iowa, New Hampshire und dem besonders wichtigen Ohio immer im Vorteil.

Die Hoffnung Romneys mußte somit darin liegen, daß der Schwung, der ihn ab Mitte Oktober nach oben geführt hatte, noch weiter tragen würde; daß der zum Teil knappe Vorsprung Obamas in einem Teil der swing states sich zu seinen Gunsten umkehren würde.

Das ist nicht eingetreten. Es war - aus der Sicht Romneys - wie verhext: Er hatte eine beispiellose Aufholjagd hingelegt, hatte es sogar geschafft, die Nase knapp vorn zu haben - aber der alles entscheidende Schwung, der ihn ins Weiße Haus tragen würde, wollte und wollte sich nicht einstellen. Ein Prozentpunkt mehr als Obama - das schien für Mitt Romney die magische Grenze zu sein. Zu wenig, um auch im Electoral College eine Mehrheit zu erringen.

Nüchterne Analytiker wie Nate Silver hatten es so kommen sehen. Sein Modell reagierte zwar zunächst auf den Umschwung zugunsten von Romney. Am 4. Oktober hatte es dessen Siegeschance noch mit nur 12,9 Prozent berechnet; am 14. Oktober waren daraus 36,7 Prozent geworden. Als dann aber ein weiterer Aufschwung für Romney ausblieb und er vor allem in den meisten swing states Obama nicht überholen konnte, kehrte sich in dem Modell der Trend wieder um. Während vor einer Woche die Daten von Gallup noch einen Sieg Romneys erwarten ließen, lag bei Silver längst schon wieder Obama weit vorn.

Derzeit gibt Silver Romney nur noch eine Gewinnchance von 18,6 Prozent. Daß es jetzt gegen Romney läuft, wird auch durch so gut wie alle anderen Indikatoren bestätigt.

Der Princeton-Professor Sam Wang, der ähnlich wie Silver mit dem Instrumentarium der mathematischen Statistik arbeitet, gibt derzeit Obama sogar eine Siegeschance von 97 Prozent mit 319 zu 219 Wahlleuten; bei Silver sind es 304 zu 234. Auch in den polls of polls sowohl von RealClearPolitics als auch von Pollster liegt Obama seit Donnerstag knapp vorn. Bei Rasmussen, das Romney in den letzten beiden Wochen beständig vorn gesehen hatte, gab es gestern einen Gleichstand von 48 zu 48 Prozent.

Und Gallup, in dessen daily tracking Romney so deutlich vorn gelegen hatte, bezogen auf die wahrscheinlichen Wähler? Wenn Sie auf dessen Ergebnisseite gehen, dann finden Sie als letzte Daten die vom 28. Oktober, bei denen Romney unverändert deutlich führte. Neue Ergebnisse liegen nicht vor, weil Gallup aufgrund der Schäden durch "Sandy" seine täglichen Umfragen vorerst eingestellt hat.

Nicht nur die Umfragedaten, sondern auch andere Indikatoren deuten jetzt klar auf einen Sieg Obamas hin. Gallup hat am 27. und 28. Oktober 1.063 Amerikaner gefragt, mit wessen Sieg sie rechneten. 54 Prozent erwarteten Obama als den Sieger, nur 34 Prozent Romney. Die Demoskopen merken an, daß die Antworten auf diese Frage bei den letzten vier Präsidentschaftswahlen stets den Sieger richtig vorhergesagt hatten.

Auch die Daten der Wettbüros weisen inzwischen eindeutig auf Obama als den Sieger hin; derzeit mit Wahrschein­lich­keiten von zwischen 66,9 und 77,2 Prozent. Auch dieser Indikator ist traditionell zuverlässig; es geht schließlich um Geld.



Was sind die Ursachen dafür, daß nun doch alles auf einen Sieg Obamas hinauszulaufen scheint? Man kann naturgemäß nur spekulieren.

Die nächstliegende Erklärung ist, daß Romneys Möglichkeiten einfach erschöpft waren; daß seine Aufholjagd nicht mehr hergeben konnte als den knappen Vorsprung auf nationaler Ebene, der nicht zum Kippen von genügend swing states reichte. Romney war wie ein Langstreckenläufer, der alle seine Kräfte noch einmal für die letzten Meter mobilisiert hatte; aber sie reichten eben nicht aus.

Obama hatte in der zweiten und dritten Debatte besser ausgesehen als in der ersten. Die Wirtschaftsdaten für den September waren günstiger ausgefallen als die für den August.

Große Zeitungen empfahlen die Wahl Obamas; nicht nur die linke New York Times, sondern beispielsweise auch die Washington Post, die gestern noch einmal ein für Romney vernichtenden Editorial nachlegte. Auch eine Mehrheit der Zeitungen in den swing states unterstützt Obama. Daß jetzt auch der parteipolitisch unabhängige Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, Obama unterstützt, mag teils Ausdruck des Stimmungsumschwungs zugunsten von Obama sein, teils diesen noch weiter befördern.

Und dann ist da natürlich der mögliche Einfluß des Wirbelsturms "Sandy". Er könnte Obama doppelt begünstigt haben - durch die Gelegenheit, wie einst Gerhard Schröder bei der Elbeflut 2002 als oberster Kämpfer gegen die Katastrophe aufzutreten; zweitens dadurch, daß der Sturm das Augenmerk auf das Umweltthema gelenkt hat. Daten, die zu beziffern erlauben, welchen Einfluß "Sandy" tatsächlich auf die Wahlentscheidungen hat, liegen aber noch nicht vor.



Ist also für Romney schon alles verloren? Nicht alles, nicht völlig. Zum einen haben wir es mit Wahrscheinlichkeiten zu tun. Auch Unwahrscheinliches kann eintreten. Wenn Nate Silver die Wahrscheinlichkeit eines Siegs von Romney mit 18,6 Prozent beziffert, dann ist das etwas besser als die Wahrscheinlichkeit, daß jemand eine Sechs würfelt, nachdem er angekündigt hat, jetzt eine Sechs zu würfeln. Wir würden uns dann ein wenig wundern, aber doch nicht sehr.

Konkret könnte zweierlei der Fall sein, das Romneys wenn auch geringe Chance verbessern würde.

Erstens könnte es sein, daß die Demoskopen diesmal schlechter liegen als früher. Die Demoskopie ist schwieriger geworden; und zwar - Robert J. Samuelson hat kürzlich darauf hingewiesen - vor allem aus zwei Gründen: Erstens aufgrund der zunehmenden Verbreitung von Handys; zweitens, weil immer mehr Menschen sich weigern, an Telefonumfragen teilzunehmen. Die Faustregeln, anhand deren die Institute ihre Rohdaten gewichten, haben dadurch nur noch bedingt Gültigkeit.

Es ist also denkbar, daß Romneys Chancen besser stehen, als es die vorliegenden Umfragen ausdrücken. Möglich, aber unwahrscheinlich; denn eher könnte zum Beispiel die zunehmende Verbreitung von Handys vor allem unter jungen Menschen die Daten zu Ungunsten von Obama verzerren.

Zweitens kann Romney vielleicht auf so etwas wie eine Trotzreaktion bei seinen Wählern hoffen. Sehr viel wird von der Wahlbeteiligung abhängen, die diesmal als geringer als 2008 erwartet wird.

Wenn jetzt alles auf einen Sieg Obamas hindeutet, dann könnte das dessen Wähler in Sicherheit wiegen und veranlassen, am Dienstag zu Hause bzw. - es ist ja ein regulärer Werktag - am Arbeitsplatz zu bleiben. Andererseits könnten die Wähler Romneys, die ohnehin politisch engagierter sind, vielleicht angesichts der jetzigen Umfragen besonders motiviert sein und durch ein massives turnout, eine hohe Wahlbeteiligung, doch noch das Ergebnis drehen.

Möglich, aber eben unwahrscheinlich. Wer jetzt auf einen Sieg Romneys wettet, der kann jedenfalls mit einer guten Quote rechnen.­
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008.