27. November 2012

"Verboten!". Findet Deutschland zurück zu seinem Nationalcharakter?



Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts - das obige Plakat stammt aus dem Zweiten Weltkrieg - war das Wort "Verboten" mit den Deutschen ungefähr so assoziiert wie "OK" mit den Amerikanern und "Oh lala" mit den Franzosen. Ein Wort, das prägnant das Image der betreffenden Nation beschreibt: Die leichtlebigen Franzosen. Die pragmatischen Amerikaner. Die deutschen Untertanen, die wenn möglich alles verboten haben möchten.

In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts schien es, als sei es mit den Untertanen in Deutschland vorbei. Nicht nur das: Auf einmal marschierten die Deutschen ganz vorn in der antiautoritären Bewegung, die gegen Ende der sechziger Jahre entstanden war und die dann fast zwei Jahrzehnte prägte.

Statt "Verboten!" hieß es jetzt "Klau mich!". Verbote wurden lustvoll weggeräumt; ob beim Sexualverhalten oder in der Erziehung der Kinder, die in "Kinderläden" alles tun durften, nur nicht gehorchen.

Zwischen dem Ende der sechziger Jahre und dem Ende der achtziger Jahre änderten sich die Deutschen mehr als in vielen Jahrzehnten zuvor; siehe Die dritte Phase in der Geschichte der Bundesrepublik geht in diesen Tagen zu Ende. Eine These; ZR vom 14. 9. 2010.

Aber haben sie sich damals wirklich geändert, die Deutschen? Oder doch eher vorübergehend eine Mimikry betrieben, hinter der sich unverändert der deutsche Untertan verbirgt? Es sieht immer mehr danach aus. Grattez le Russe, vous trouverez le Cosaque, sagt man im Französischen; kratzt am Russen, und ihr werdet auf den Kosaken stoßen. Kratzt am Deutschen, könnte man das variieren, und ihr werdet den Untertanen vorfinden.



Deutschland ist auf dem Weg zur Tugendrepublik. Wir erleben nachgerade eine Orgie des Verbietens, mindestens des Mahnens und Warnens. Ich habe das immer einmal wieder in der Serie Überlegungen zur Freiheit thematisiert; zuletzt in einem zweiteiligen Artikel .

Dort habe ich im zweiten Teil von einer sozial­wissen­schaftlichen Untersuchung mit einigermaßen erschreckenden Ergebnissen berichtet, was die Verbots­neigung der Deutschen angeht. Denn dies fand das Institut für Demoskopie Allensbach:
In fast allen Bereichen forderten 2011 mehr der Befragten ein Verbot als 2003.

Das reicht vom Verbot harter Drogen (Anstieg gegenüber 2003 von 83 Prozent auf 92 Prozent) und weicher Drogen (von 44 auf 53 Prozent) über das Verbot rechtsradikaler Parteien (von 54 auf 71 Prozent) und hoher Spenden an Parteien (von 32 auf 46 Prozent) bis zu einem Verbot "besonders schneller, PS-starker Autos" (von 12 auf 18 Prozent). Tempo 130 auf Autobahnen wollten 2003 nur 8 Prozent; jetzt sind es 19 Prozent.

So sah es fast durchweg aus. Von den 21 Punkten, die genannt wurden, zeigten 18 dieses Bild einer stärkeren Befürwortung eines Verbots als 2003.



Und so ist das Ergebnis nicht verwunderlich, über das gestern Carolin Ströbele in "Zeit-Online" berichtete. Befragt wurde in diesem Fall eine repräsentative Stichprobe von Deutschen über Alkoholkonsum in der Eisenbahn. Zusammenfassung:
Mehr als 80 Prozent der Deutschen sind für ein Alkoholverbot in Zügen, hat eine ZEIT-ONLINE-Umfrage ergeben. Die Hälfte von ihnen ist für eine Ausnahme im Bordrestaurant.
Im einzelnen sieht das so aus, daß 41 Prozent der Aussage zustimmten "Ich bin für ein generelles Alkoholverbot im deutschen Zugverkehr". 42 Prozent - sozusagen die Liberalen unter den Illiberalen - wollten zwar Alkohol im Zug verbieten; aber immerhin stimmten sie dieser Aussage zu: "Ich bin für ein Alkoholverbot außerhalb des Bordrestaurants. Dort sollen weiterhin Bier, Wein oder Sekt getrunken werden dürfen".

Sehr großzügig, nicht wahr? Ganze 14 Prozent bejahten die Aussage "Ich bin gegen ein Alkoholverbot".

Wer im Thalys von Köln oder Aachen nach Paris fährt und die erste Klasse bucht, der bekommt, ähnlich wie im Flugzeug, am Platz ein Essen serviert, je nach Tageszeit ein Frühstück, Mittag- oder Abendessen. Vor allem beim Abendessen bestellen sich viele der Reisenden dazu eine kleine Flasche Wein.

Wenn es nach 83 Prozent der Deutschen geht, dann soll das verboten werden. Für alle? Vielleicht kann man ja wenigstens aushandeln, daß das Verbot nur für deutsche Staats­angehörige gelten wird und daß die mitreisenden Franzosen, Belgier und Sonstigen wie üblich ihren Tischwein genießen können.

Übrigens, Aussteigernation: Wie sollen bei einem generellen Alkoholverbot Verstöße geahndet werden? Auch das wurde von YouGov gefragt, das die Umfrage durchführte. 59 Prozent sprachen sich für ein Bußgeld aus. 45 Prozent aber war das nicht genug. Sie verlangten für den Alkoholsünder einen "Zugverweis".

Mit anderen Worten: den Ausstieg, zwangsweise. Im Thalys allerdings muß der Zugverweis spätestens in Brüssel erfolgen. Danach hält der Zug nicht mehr, bis Paris.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelbild: Office for Emergency Management. War Production Board. (01/1942 - 11/03/1945). Als Werk der US-Regierung gemeinfrei.