20. Dezember 2012

"Amerika wird der Energiegigant des 21. Jahrhunderts werden". Die geopolitischen Folgen des Fracking

"Klistier im Gestein" betitelte der gedruckte "Spiegel" Anfang Oktober einen Artikel, der sich mit Fracking befaßte, der Gewinnung von Erdgas und Erdöl aus Schiefergestein. Die Bezeichnung ist flapsig, aber treffend: Man pumpt Wasser in das Gestein hinein, um durch dessen Druck das Öl und das Erdgas herauszuholen.

Schiefergestein ist eine sogenannte unkonventionelle Lager­stätte für Gas und Öl. Sie sind darin eingelagert; aber es fehlt der Druck, der sie aus konventionellen Lagerstätten in der Regel von selbst nach oben preßt, sobald man eine Bohrung niedergebracht hat. Diesen Druck muß man beim Fracking erst erzeugen; eben durch das in die Tiefe gepumpte Wasser.

Wenn Sie ZR regelmäßig lesen, dann wissen Sie, welche große wirtschaftliche Bedeutung das Fracking künftig haben wird und wie schlecht die Aussichten sind, daß davon auch Deutschland profitieren wird:
Deutschland im Öko-Würgegriff (31): Die deutschen Erdgasvorräte sind zehnmal so groß wie bisher angenommen. Haben Sie diese Meldung irgendwo gelesen?; ZR vom 27. 6. 2012

Zitat des Tages: "Ein außerordentliches Wachstum bei der Erzeugung von Erdöl und Erdgas in den USA". Reindustriealisierung der USA. Deindustriealisierung Deutschlands?; ZR vom 13. 11. 2012

Deutschland im Öko-Würgegriff (36): Vervespert. Wie wir unsere Zukunft verspielen; ZR vom 17. 11. 2012



Bei Stratfor hat sich gestern Robert D. Kaplan mit den geopolitischen Folgen des kommenden Fracking-Booms befaßt.

Allgemein werden, nicht verwunderlich, diejenigen Länder und Regionen einen wirtschaftlichen Aufschwung erleben, die einerseits über die entsprechenden Lagerstätten verfügen und die andererseits willens und in der Lage sind, sie auszubeuten.

Mit an erster Stelle steht die Region rund um den Golf von Mexiko. In den USA umfassen diese Lagerstätten vor allem Texas und Louisiana, in Mexiko dessen nördliche Landesteile und auf dem südamerikanischen Kontinent Venezuela. Zusammen mit der für 2014/15 geplanten Verbreiterung des Panama-Kanals wird das zu einem wirtschaftlichen Aufschwung dieser Region führen.

Aber auch weiter nördlich besitzen die USA große Vorräte: in der Region südöstlich der Großen Seen von Ohio über Pennsylvania bis in den Staat New York; dazu in North Dakota. Dieser Reichtum werde die USA "zu einem Energiegiganten des 21. Jahrhunderts machen", schreibt Kaplan.

Ein jetziger Energiegigant wird der große Verlierer sein: Rußland. Es stützt sich nicht nur wirtschaftlich sehr stark auf den Export von allem von Erdgas, sondern nutzt es auch als politisches Druckmittel, um das Sowjetreich in Gestalt einer nach Ost- und bis nach Mitteleuropa reichenden Einflußzone erneut zu errichten (siehe "Mit dem Rückzug ist es vorbei"; ZR vom 10. 10. 2008, sowie Entkolonialisierung oder "Selbstverstümmelung"? Rußlands auf dem Weg zurück zu einer imperialen Politik; ZR vom 16. 11. 2008).

Diese Dominanz Rußlands wird gefährdet werden, wenn die USA in großem Umfang billiges Erdgas produzieren und exportieren können. Für den Export müßten am Golf von Mexiko neue Anlagen zur Verflüssigung von Erdgas gebaut werden, das dann mit Schiffen nach Europa gebracht würde.

Ein von Rußland energiepolitisch unabhängiges Mittel- und Osteuropa könne einen wirtschaftlichen und auch kulturellen Aufschwung erleben, meint Kaplan.

Das gilt vor allem für Polen, das möglicherweise - ob wirklich, bedarf noch weiterer Untersuchungen - über riesige eigene Lager von Schiefergas verfügt. Das könnte einen Aufstieg des Landes bewirken, der Polen zu einer der europäischen Mittelmächte machen würde.

Es entstehen also neue Machtzentren, und andere verlieren an Bedeutung; auch wenn Rußland und der Nahe Osten weiter eine wichtige Rolle für die Energieversorgung der Welt spielen werden.

Zu den Gewinnern könnte vor allem auch Australien gehören; das über umfangreiche Vorräte verfügt und zu einem Energieversorger für Ostasien aufsteigen könnte: sodann China und auf dem nordamerikanischen Kontinent Kanada, dessen Vorräte vor allem in der Provinz Alberta liegen.

Über Pipelines könnte dieses Erdgas an die Pazifiküste transportiert und von dort in verflüssigter Form mit Schiffen nach Asien transportiert werden. Das östliche Kanada könnte seinerseits von der Gasförderung in den US-Bundesstaaten südöstlich der Großen Seen profitieren.

Als Folge der Einführung des Fracking in großem Umfang sieht Kaplan also weltpolitische Machtverschiebungen mit einem Aufstieg vor allem Australiens und Kanadas, einer Festigung der Position der USA und einem Machtverlust Rußlands.

Und Deutschland?

Deutschland erwähnt Kaplan nicht. So, wie sich die Energiepolitik in Deutschland derzeit entwickelt, darf man aber erwarten, daß wir auch hier, wie schon bei der Kernenergie, nicht nach wirtschaftlicher und technischer Vernunft entscheiden, sondern daß am Ende die ideologischen Bedenkenträger die Richtung bestimmen werden.

In Deutschland ist ja für die Energiepolitik inzwischen - vermutlich einmalig auf der Welt - nicht das Wirtschafts- oder ein Energie- oder Industrieministerium zuständig; sondern es ist jedenfalls faktisch der Bundesminister für Umwelt samt seinen Länderkollegen.

Diese haben sich vor vier Wochen getroffen und in Bezug auf das Fracking beschlossen, daß eine "Genehmigung dieser Art der Erdgasgewinnung ... derzeit nicht verantwortbar" ist.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette vom Autor The Transhumanist gemeinfrei gestellt.