28. Dezember 2012

Aufstieg und Fall der Liberalen. Kommentare und Analysen zur FDP in ZR

In drei Wochen eröffnen die Land­tags­wahlen in Nieder­sachsen das Wahljahr 2013. In allen Umfragen seit Mai 2011 liegt die FDP in Niedersachsen unter 5 Prozent.

Mag sein, daß sie es mit Leihstimmen dennoch wieder in den Landtag schafft; denn die CDU hat ohne den Partner FDP keine Chance, an der Regierung zu bleiben. Aber was, wenn die FDP im Heimatland ihres Vorsitzenden nicht nur aus der Regierung, sondern gleich auch noch aus dem Landtag fliegt?

Ein Menetekel ist es. Eine Schrift an der Wand: Gewogen und zu leicht befunden, so heißt es im Buch Daniel.

Wie konnte es so weit kommen mit der FDP? Wie war der beispiellose Niedergang einer Partei möglich, die im September 2009 mit 14,6 Prozent der Zweitstimmen ihr bestes Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik geschafft hatte; die damit fast zwei Drittel des Ergebnisses der SPD (23,0 Prozent) eingefahren hatte?

So etwas hat es in der deutschen Parteiengeschichte noch nicht gegeben. Und es gibt keine offensichtliche Erklärung.

Es wurde kein Skandal aufgedeckt. Die FDP hat sich keinen unverzeihlichen Patzer geleistet. Es hat keine der schweren innerparteilichen Krisen gegeben, die zweimal einen Teil der Mitglieder und Mandatsträger hatten wegbrechen lassen: 1956, als der "Ministerflügel" aus der Partei austrat und eine eigene Partei gründete; dann noch einmal Anfang der siebziger Jahre, als Teile des rechten Flügels die nach links gerückte Partei verließen, darunter ihr langjähriger Vorsitzender Erich Mende, der zur CDU übertrat.

Von keiner derartigen Krise ist die FDP in den vergangenen Jahren durchgerüttelt worden. Sie hat nichts getan, es hat sich in ihr nichts zugetragen, das es rechtfertigen würde, vom Wähler derart abgestraft zu werden.

Was also ist da passiert? Gestern sind zwei lesenswerte Artikel zu diesem Thema erschienen.

In der "Welt" hat Ulf Poschardt unter der Überschrift "Antiliberalismus, der neue deutsche Ungeist" auf die negative, teilweise infame Berichterstattung über die FDP hingewiesen, bei der sich die einst liberale, heute weit links stehende "Süddeutsche Zeitung" besonders hervortut.

Dort hat vorgestern Heribert Prantl sich dazu verstiegen, Philipp Rösler vorzuwerfen, er "ignoriere" den "Willen der Bürger". Ein Einheitswille offenbar, wie einst im Arbeiter- und Bauernstaat, gegen den die FDP als feindlich-negatives Element auftritt ("Wasserpest" fällt Prantl noch ein).

Diese Verteufelung, diesen Versuch einer Marginalisierung des Liberalismus spricht auch Rayson im B.L.O.G. an:
Eine konsequent liberal auftretende Partei kann in Deutschland nur die Rolle des Störenfrieds und Spielverderbers einnehmen. Wenn sie das gut macht, wird sie von der veröffentlichten Meinung gehasst. Wenn sie es schlecht macht, verachtet. Der Hass der Sozialingenieure und Bessermenschen ist daher nicht Problem, sondern Zeichen von Zielerreichung. Wer versucht, ihn durch Anbiederung oder Leisetreterei zu vermeiden, wird zur Verachtung durchgereicht.
Zweitens geht Rayson auf die derzeitigen Spitzenpolitiker der FDP ein, zu denen er meint, daß die "Auswahl an Köpfen wenig Hoffnung" lasse.

Ich stimme Raysons Analyse zu; ich stimme auch Poschardt zu. Aber das Rätsel, wie es binnen so kurzer Zeit zu einem derartigen Absturz der FDP kommen konnte, scheint mir damit noch nicht gelöst zu sein. Auch 2009, im Jahr ihres rauschenden Wahlsiegs, waren die meisten Medien schon links dominiert und haben gegen den Liberalismus angeschrieben und angesendet. Das gegenwärtige Personal der FDP mag nicht überqualifiziert sein - aber ist es denn schlechter als die Führung der SPD, als die Figuren an der Spitze der Partei "Die Grünen"?



Strukturell hat sich in diesen drei Jahren nichts grundlegend geändert. Es müssen funktionelle Faktoren sein, die zum Niedergang der FDP geführt haben - Entwicklungen, Fehlent­schei­dungen, die einander bedingt und verstärkt haben. Jeder Faktor für sich nicht besonders schlimm; aber in ihren Wechselwirkungen fatal.

Das habe ich in den Artikeln zur FDP nachzuzeichnen versucht, die deren Niedergang begleitet haben; meist mit Pessimismus, manchmal wieder mit Hoffnung.

Daß etwas nach dem grandiosen Wahlsieg schief lief, wurde bereits neun Wochen nach der Regierungsbildung deutlich:
FDP zurück ins Glied. Die unsichtbare Regierungspartei. Eine Hoffnung zerfällt
Damals war die FDP insofern "zurück ins Glied" getreten, als sie in den Umfragen auf das Niveau der Grünen und der Kommunisten zurückgefallen war - ein Traumergebnis, nach heutigen Maßstäben. Aber bei der Wahl war sie ja eben an die SPD herangerückt gewesen; sie schien auf dem Sprung zu einer dritten Volkspartei zu sein.

In diesem Artikel habe ich zwei Gründe für diese Entwicklung genannt:
Erstens gab es nichts von der sichtbaren Entschlossenheit zum Neuanfang, wie er nach der Bildung der sozialliberalen Koalition 1969 ("Mehr Demokratie wagen") zu spüren gewesen war; nach dem Wechsel zu einer bürgerlichen Koalition 1982 ("Geistig- moralische Wende"); nach der Bildung der rotgrünen Koalition 1998 ("Ökologischer Umbau der Industriegesellschaft").

Der Koalition, die im Oktober 2009 geschlossen wurde, fehlte nicht nur ein solcher griffiger Slogan; das ist marginal. Sondern es fehlten ihr Inhalte, aus denen sich ein derartiger Slogan, aus denen sich eine gemeinsame Parole hätte speisen können. Man hat den Eindruck, daß die Kanzlerin geistig noch halb in der schwarzroten Koalition verharrt, und die FDP in der Opposition. (...)

Das zweite ist, daß die Minister der FDP nachgerade unsichtbar sind.
Bereits im Februar 2010 war die FDP dann schon hinter die Grünen und die Kommunisten zurückgefallen. Es hatte eine Krisensitzung gegeben. Die FDP suchte den verlorenen Boden durch forsches Auftreten wieder gutzumachen:
Zur Strategie und Taktik der FDP
Es begann die Zeit, in der die FDP sozusagen mit dem Fuß aufstampfte und auf Steuersenkungen beharrte; in der sie den Konflikt mit der Union suchte, um Profil zu gewinnen. Das konnte schwerlich gutgehen:
Hier scheint mir der Hauptfehler der FDP zu liegen, und die zentrale Ursache für ihren momentanen Niedergang in der Wählergunst: Man hat den Eindruck, daß sie Vorhaben übers Knie brechen möchte, die nicht in die momentane Situation passen. Das riecht nach Ideologie.

Man sieht auf der anderen Seite wenig konstruktive politische Arbeit (gerade auch nicht beim Außen­minister, dessen Politik noch keine Konturen hat). (...)

Die jetzigen acht Prozent entsprechen nicht dem Potential der FDP. Sie kann sich wieder berappeln; freilich wird ihr eine Wende nicht in den Schoß fallen.

Keine Klientelpolitik mehr, auch nicht das Erwecken eines einschlägigen Anscheins. Ein langer Atem auf der strategischen Ebene. Rückbesinnung darauf, daß die FDP die Partei der Bürgerrechte ist (und sie deshalb in der CD-Affäre ein offenes Wort hätte wagen müssen). Ein Ende des koalitionsinternen Gezerres; auch wenn es schwer fällt, eine Provokation aus der CSU nicht mit gleicher Münze heimzuzahlen. Das könnte vielleicht eine Linie sein, die mittelfristig die FDP wieder aus dem Tal der 8 Prozent herausführt.

Und ein Außenminister wird gebraucht, der endlich seine Amtsführung auch denen zu vermitteln vermag, denen er dieses Amt verdankt.
Wenn ich das heute wieder lese, dann erscheint es mir als ein nachgerade waghalsiger Optimismus. Denn die FDP bewegte sich danach in der Tat weg von den acht Prozent, aber bekanntlich in Richtung Fünf-Prozent-Hürde, um dann unter diese zu tauchen.

Ich habe diesen Niedergang zu verstehen versucht, mit wachsender Skepsis:
Marginalie: Noch nie hatte sich ein Jahr nach einer Wahl die Parteienlandschaft so grundlegend verändert wie jetzt. Versuch einer Erklärung

Marginalie: Barack Westerwelle und der Niedergang der FDP

Dreikönigstreffen. Aufstieg und Fall der FDP. Wie kam es eigentlich zu dem glänzenden Wahlergebnis von 2009?

Zettels Meckerecke: Die 2,8-Prozent-Partei. Es gibt keine Bestandsgarantie für die FDP. Kann sie jetzt noch etwas retten?

Die CDU rückt nach links. Warum verliert sie dadurch nicht Wähler an die FDP? Ein Paradox, eine These. Und eine Hoffnung

Was die Krise der FDP ist, und was sie nicht ist. Über den Erfolg der christlich-liberalen Koalition und das Erbe Guido Westerwelles

Gingrichs Aufstieg, Wulffs Affäre, der Niedergang der FDP - drei Beispiele für rückgekoppelte Prozesse. Was folgt für das Los der FDP? Gutes!
Der letzte dieser Artikel versucht eine einigermaßen gründliche Analsyse der Wechselwirkungen, die zum Niedergang der FDP geführt hatten. Mit einem positiven Ausblick. Und zur Hoffnung schien es ja bald danach Anlaß zu geben.

Denn die Spirale des Niedergangs, der Wechselwirkungen, durch die ein Sog nach unten entstand, wurde noch einmal unterbrochen: Als nach dem Rücktritt des Präsidenten Wulff die FDP - nein, ihr Vorsitzender Rösler - den Mumm hatte, gegen die Kanzlerin den Kandidaten Gauck durchzusetzen:
Huber oder Gauck als Kandidat der Koalition - das wäre eine Richtungsentscheidung. Die Wahl des Präsidenten und die Chance der FDP

Joachim Gaucks Nominierung: Sieg für die Freiheit, Erfolg der FDP. Eine List der Vernunft
Danach schien die FDP noch einmal Aufwind zu bekommen. Es kamen die Wahlen in NRW und in Schleswig-Holstein, die beide mit einem überraschend guten Abschneiden der FDP endeten:
Die FDP, die Wahlen in NRW, die Wechselwähler. Eine Analyse und eine Art Wahlempfehlung

Zitat des Tages: "Die Arbeit der Koalition in Berlin wird jetzt vielleicht sogar leichter". NRW und die Folgen für Merkels Koalition
Das ist jetzt ein gutes halbes Jahr her. Damals, im Mai, schien eine Trendwende greifbar nah.

Die FDP hatte ihren Kandidaten Gauck durchgesetzt; mit großer Zustimmung in der Bevölkerung. Sie hatte sich in zwei Landtagswahlen glänzend geschlagen. Jetzt hätte die Spirale beginnen können, sich wieder andersherum zu drehen; die FDP wieder in Richtung auf das Wahlergebnis von 2009 zu befördern. In dessen Richtung; nicht zu diesem hin.

Die Chance wurde vertan. Der ausgezeichnete Philipp Rösler konnte - und kann vielleicht - nicht die Ausstrahlung entwickeln, die der Spitzenmann einer Partei nun einmal braucht. Steifer und dröger geht's nimmer.

Die anderen sind abgetaucht. Guido Westerwelle ist der für die deutsche Öffentlichkeit unsichtbarste Außenminister, den dieses Land jemals hatte. Der Hoffnungsträger Christian Lindner benimmt sich so, wie wir ihn kennen: taktierend, allein auf die eigene Karriere bedacht. Jetzt also in Wartestellung in NRW.

Nun kommen die Wahlen in Niedersachsen; zuvor das traditionelle Dreikönigstreffen. Es müßte dort vielleicht jemand den Mut haben und sagen: Freunde, so kann es mit dieser Partei nicht weitergehen. So etwas in der Art von Peter Handkes Auftritt in Princeton 1966.

Publikumsbeschimpfung also.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Wahlplakat der FDP zur Bundestagswahl 1965, ausgestellt im Bonner Haus der Geschichte. Vom Autor Bundesstadt Blues unter GNU Free Documentation License, Version 1.2 oder später, freigegeben.