1. Dezember 2012

Kurioses, kurz kommentiert: "Die Alpen werden auf 10 bis 30 Prozent ihrer heutigen Größe schrumpfen". Ein neues Klima-Schreckensszenario

"Wenn kein Gletscher mehr da ist, kann er auch kein Schmelzwasser liefern", sagt der Geoforscher [Ben Marzeion von der Universität Insbruck; Zettel]. Seinen Modellen zufolge könnten die Alpen bis 2040 etwa die Hälfte ihres Eises verlieren und bis 2.100 auf 10 bis 30 Prozent ihrer heutigen Größe schrumpfen.
Aus einem "Tagesspiegel"-Artikel von Ralf Ralf Nestler, der seit gestern auch in "Zeit-Online" zu lesen ist.

Kommentar: Erst waren es die Schafe auf der schottischen Insel Hirta, die von der globalen Erwärmung zum Schrumpfen gebracht wurden. Jetzt also die Alpen. Bei den Schafen ist es bisher ein Gewichtsverlust von fünf Prozent. Die Alpen sollen nun gar auf zehn bis dreißig Prozent schrumpfen. Die Zugspitze wäre dann maximal noch so hoch wie jetzt der Brocken im Harz.

Spaß beiseite. Natürlich ist dem Autor Nestler ein - freilich "Hohlspiegel"-würdiger - sprachlicher Schnitzer unterlaufen. Sagen wollte er, daß das Eis der Alpen schrumpfen wird, nicht diese selbst. Deshalb zitiere ich das ja in der Rubrik "Kurioses, kurz kommentiert", nicht im Kleinen Klima-Kaleidoskop.

Aber wer weiß, wie viele Leser des "Tagesspiegel" und von "Zeit-Online" auch die Prognose von den schrumpfenden Alpen geglaubt haben? Es kann ja keine Horrorbehauptung über katastrophale Folgen der globalen Erwärmung so schrecklich sein, daß sie nicht von vielen Menschen geglaubt werden würde; beispielsweise die Meldung vom März dieses Jahres, es werde "der Wasserspiegel der Weltmeere anschwellen, die Küstenlinien meterhoch überfluten und zahllose Metropolen zerstören".

Das war eine Modellrechnung des, Sie ahnen es, "Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung"; diesmal von Stefan Rahmstorf. Er wird auch in dem jetzigen Artikel von Ralf Nestler zitiert, und zwar mit Verweis auf eine vor wenigen Tagen erschienene Publikation von Rahmstorf und zwei Koautoren.

Werfen Sie vielleicht einmal einen Blick auf Abbildung 1 in diesem Artikel. Sie sehen dort, rot eingezeichnet, eine Kurve des globalen Temperaturverlaufs ab 1980. Diese Kurve steigt ungefähr linear an - bis heute!

Wenn Sie ZR regelmäßig lesen, dann wissen Sie, daß tatsächlich aber die globalen Temperaturen seit der Jahrtausendwende auf einem Plateau verharren. Ich weise darauf immer einmal wieder hin; zuletzt in diesem Artikel, in dem Sie die Oktober-Daten der amerikanischen Behörde NOAA grafisch dargestellt finden. Die globalen Temperaturen sind heute nicht höher als vor zwölf Jahren; weder auf der nördlichen noch der südlichen Halbkugel, weder über den Ozeanen noch über den Landmassen.

Wie kommt Rahmstorf also zu seiner ganz anderen Kurve? Sehen Sie einmal genau hin. Dann entdecken Sie in schwachem Rosa die tasächlichen Meßwerte, die so sind wie die der NOAA. Was in dickem Rot zu sehen sind, sind gar keine Meßwerte, sondern das, was Rahmstorf zusammen mit dem Erstautor Grant Foster ausgerechnet hat, wie die Temperaturen eigentlich sein müßten - wenn nicht Faktoren wie Vulkanismus, Sonnenaktivität und die El Niño Southern Oscillation (das Wetterphänomen El Niño) sozusagen einen Strich durch die Rechnung machen würden.

Was von einem solchen adjustment, einer Anpassung der Daten, bis man sie zur Theorie passend gemacht hat, zu halten ist, hat damals W. Flamme treffend zusammengefaßt:
Bei F+R [den Autoren Foster und Rahmstorf; Zettel] ist der 'Zweck', diejenige optimale Kombination aus individuellen Totzeiten und Wichtung der drei Einfluß-Zeitreihen zu finden, die die Abweichungen zwischen der Modellprämisse 'lineare Erwärmung' und Messungen der Erwärmung am Besten erklärt. Das subtrahiert man dann und erhält ein Signal, was besser zum Modell 'lineare Erwärmung' paßt.

Das ist ihre Verfahrensbeschreibung und auch so im Code festgehalten. Sie probieren da 25^3 Totzeit-Kombinationen durch und berechnen die zugehörigen Wichtungsfaktoren und wählen dann genau die Parameterkombination, die die Beobachtungen am Nähesten an ihr lineares Modell bringt.
Wenn die Wirklichkeit sich nicht der Theorie fügt, umso schlimmer für die Wirklichkeit.

Man traktiert die nicht passenden Daten so lange, bis sie passen. Das ist die Kunst des "Fittens", der Anpassung. "Mit vier Paramtern kann ich einen Elefanten fitten, und mit fünf kann ich ihn mit dem Rüssel wackeln lassen" hat John von Neumann gesagt, Mathematiker und einer der Begründer der Informatik.



Ist also gar nichts daran an der menschen­gemachten globalen Erwärmung, dem ACC? Wenn Sie gelesen haben, was ich zu diesem Thema schreibe, dann wissen Sie, daß ich diesen Schluß ausdrücklich nicht ziehe.

Es kann sehr wohl sein, daß die Modelle des IPCC stimmen, des Weltklimarats. Es kann sein, daß Rahmstorf mit seiner Anpassung der Daten, bis sie zur Theorie passen, das Richtige getroffen hat. Nur kann es eben auch anders sein.

So ist Wissenschaft nun einmal. Ich plädiere dafür, die Klimatologie nicht als eine Offenbarungsreligion zu behandeln, sondern als ein ganz normales wissenschaftliches Unternehmen mit allen seinen Fallstricken, konkurrierenden Theorien, Irrtümern und ständig erforderlichen Korrekturen. Wenn Sie das ein wenig genauer nachlesen wollen, finden Sie es hier:
Kleines Klima-Kaleidoskop (7): Schrumpfende schottische Schafe, Dürre im australischen Murray-Darling-Becken und das liebe Jesuslein; ZR vom 9. 2. 2010

"Forscher haben jetzt herausgefunden, daß ...". Plädoyer für einen skeptischeren Umgang mit Forschungsergebnissen in den Medien; ZR vom 5. 10. 2012
Zettel



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