1. Oktober 2013

Rechtsruck in Österreich? Eine Presseschau

Wahlen in Österreich werden in der deutschen Berichterstattung in der Regel mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Abscheu betrachtet. Die Überheblichkeit des nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch in Fragen der "right livelyhood" selbsternannten europäischen "Klassenprimus", der den als reaktionär verschrieenen "Klassendepp" - im Verbund mit den ebenso weisen europäischen Nachbarn - die richtigen Werte lehren muss.
­Das klingt dann so:
Patchworkfamilien, Schwule, Ökos, Multikultis, Migranten, Kreative, das großstädtische Publikum, das sich Ganztagsschulen wünscht, und innovationsbereite Hoteliers, die Gäste aus einem offenen, selbstbewussten Europa aufnehmen - sie mussten sich vergessen fühlen von einer Mitte, die bürgerlich sein möchte und ihre Bürger doch unterwegs verliert.
Deshalb überrascht auch die Spiegel Online-Überschrift nicht, sondern sie erfüllt die Erwartung: Rechtsruck in Österreich! Na bitte, haben wir doch sowieso gewusst. Und die SZ sekundiert:


Wahlsieger in Österreich sind die Rechtspopulisten: Die Protestwähler haben sich von den Traditionsparteien abgewendet und ihr Heil in den rechten Kritikern gesucht. Was für ein schauriger Triumph.

Was hat es mit dem Rechtsruck auf sich? Nach einer kurzen Betrachtung der Wahlergebnisse wird zumindest ein unvoreingenommener Betrachter zum Schluss kommen müssen: Die Weisen der Europäischen Union können diesmal zu Hause in Brüssel bleiben und uns vor anderem Unheil bewahren.

Denn insgesamt hat das nationalistische Lager in Österreich Stimmen eingebüßt. Zwar hat die vom deutschnationalen Strache-Flügel dominierte FPÖ drei Punkte dazugewonnen und steht nun wieder bei gut 20% (die Weisen rücken erst bei 26 aus...), aber das von Haider und Westenthaler gegründete nationalliberale BZÖ erlebte einen Absturz von 10,7 auf 3,5%.

Halt, da ist ja noch - Frank Stronach. Da der Senior die notleidende Firma Opel doch nicht aufkaufen durfte, hat er jetzt Zeit, in Österreich Politik zu machen und zieht ordentlich Protestwähler an, aus allen Lagern gleichermaßen. Stronach tritt euroskeptisch an und wird deshalb von Spiegel Online und SZ gleich unter die "Rechtspopulisten" eingereiht. Seine Absage an eine Koalition mit Strache? Egal - Stronach = anti-Euro = AfD = rechtspopulistisch - so einfach denkt es an der Brandstwiete.

Vollends absurd wird die Theorie vom Rechtsruck, wenn man sich die Wählerwanderung ansieht. Aus der geht nämlich hervor, dass knapp eine Viertelmillion Wähler der Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP weder nach rechts noch nach links gerückt sind, sondern einfach zu Hause geblieben. Und selbst vom pulverisierten BZÖ kehrten nicht einmal die Hälfte der abgewanderten Wähler zur ehemaligen Mutterpartei FPÖ zurück. Machtergreifung sieht anders aus, und Volksparteichef Spindlegger regiert eh lieber als Junior mit der SPÖ weiter, als es auf eine Kanzlerschaft mit Stronach und Strache an der Seite ankommen zu lassen.

Die aus konservativ-liberaler Sicht erfreulichste Erscheinung dieser Wahl sind die anderen Newcomer im Nationalrat: NEOS (neues Österreich). Eine wirtschaftsliberale, bürgerrechtlich gesinnte Partei mit christdemokratischen Wurzeln hat es aus dem Stand ins Parlament geschafft. Vor allem begeistert die Tatsache, dass über ein Viertel der Wähler von den Grünen hinübergewechselt sind. Genau hinschauen, Herr Lindner! 

Wenn man also donauabwärts schaut, kann man - zugegeben mit Ausnahme des durchaus politisch indiskutablen FPÖ-Frontmanns Strache - ein positives Fazit ziehen und jede Überheblichkeit fallen lassen. Denn die Österreicher haben zum einen eine neue bürgerlich-liberale Partei, die uns so dringend fehlt. Zum anderen haben sie eine rot-schwarze Koalition, in der der Junior völlig ohne Machtspielchen eine stabile Regierung mitträgt. 

Die Berichterstattung in Deutschland dagegen ist nicht nur respektlos gegenüber demokratischen Prozessen in einem befreundeten Land, sie trägt bisweilen obsessive Züge. Das ex-konservative Magazin Cicero stellte den Rechtsruck schon vor der Wahl fest, und es gibt auch einen Hinweis, woher die Obsession kommt. Wo die SZ nur ein abgestandenes Wortspiel mit "Heil suchen" andeutet, guidoknoppt Vinzenz Greiner aus vollem Rohr:
Dort endete Straches Rede mit Jubel. Seine Anhänger sprangen auf und stürmten mit wehenden Fahnen bis an die Bühne. HC Strache ist eine Figur, in der sich jene, die mehr Nationalismus wollen, genauso wiederfinden wie jene, die ein sozialeres Österreich fordern. „Es ist so gigantisch“, rief HC Strache strahlend in die Menge. Diese Wahlkampfauftritte erinnern einige Österreicher an einen ganz bestimmten Mann, der vor etwa 90 Jahren mit einer Mischung aus Sozialem und Nationalistischem die Massen zu begeistern wusste. Während eines Strache-Auftritts in Graz halten linke Demonstranten ein Plakat in die Luft. „1938 Gründe gegen Strache“ steht darauf. 1938 holte Adolf Hitler die Österreicher „heim ins Reich“.
Die Obsession kommt aus Braunau. Oder frei nach Zvi Rex: Die Deutschen haben den Österreichern den Führer nie verziehen. 


Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: Heinz-Christian Strache (FPÖ). Von Manfred Werner gemeinfrei gestellt. Für Kommentare bitte hier klicken.