11. Oktober 2014

Wie uns die Prohibition abhängig macht

Als am 16. Januar 1920, ein Jahr nach der Ratifikation der 18. Verfassungszusatzes, die Prohibition den den Vereinigten Staaten begann, hatte wohl keiner ihrer Befürworter und auch keine ihrer Befürworterinnen damit gerechnet, wie gründlich dieses "noble Experiment" zur Errichtung einer nüchternen Gesellschaft gescheitert ist.

Ob der Alkoholkonsum während der Prohibition stieg oder fiel kann nur geschätzt werden, denn eine unvermeidliche Folge des Verbotes war das Fehlen jeglicher offiziellen Statistiken aus beispielsweise Alkoholsteuererhebungen und von legalen Produzenten. Es gibt eine Schätzung, basierend auf Sterblichkeitsraten, Gesundheits- und Kriminalstatistiken, die von einem Rückgang am Anfang der Prohibition ausgeht, bevor der Alkoholkonsum wieder auf nahezu den Stand Anstieg, den er vorher eingenommen hatte. Erst nach der Prohibition sei er wieder auf den alten Stand gestiegen. Diese ist nicht unumstritten, und andere gehen davon aus, der Alkoholkonsum pro Kopf sei schon mehrere Jahre nach Einführung auf einen höheren Stand gewesen, als vor dem Verbot.
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Manche Verweisen auf die niedrigere Todesrate durch Alkoholabhängigkeit, aber das in einer Zeit, in der durch den medizinischen Fortschritt die Todesrate allgemein sank. Mehr noch, steht die Zuverlässigkeit dieser Zahlen, die auf den offiziellen Angaben auf Totenscheinen beruhen, in Zweifel, sofern sie auf privaten Angaben oder dem Urteil "des Arzt des Vertrauens" der Familie beruhten. Wie Dr. Charles Morris, Chief Medical Examiner for New York City festellte (nach  M. TILLIT, THE PRICE OF PROHIBITION, S 114 f.) : 

In making out death certificates (which are basic to Census Reports) private or family physicians commonly avoid entry of alcoholism as a cause of death whenever possible. This practice was more prevalent under the National Dry Law than it was in preprohibition time.
Beim Ausstellen von Totenscheinen (die Basis für die offiziellen Statistiken des Zensus) haben Privat- oder Familienärzte im allgemeinen vermieden Alkoholismus als Todesursache einzutragen, sofern möglich. Diese Praxis war unter den Nationalen Nüchternheitsgesetzen noch gängiger als in der Pre-Prohibitionszeit.

Unbestritten ist jedoch wie viele ihrer Versprechungen die Prohibition nicht erfüllen konnte. Die Befürworter der Prohibition haben in ihren Kampagnen einen Anstieg der Nachfrage für Haushaltsgeräte und Kleidung, Säfte und sogar Kaugummi vorhergesagt. Grundeigentümer erwarteten steigende Miet- und Pachteinnahmen und Theater, Kinos und andere (populär-)kulturelle Einrichtungen freuten sich bereits über Scharen neuer Kunden, die eine Alternative zum feucht-fröhlichen Abend für  Freizeit- und Feierabendunterhaltung suchten. Schließlich, so die Annahme, werde die nicht mehr zum Erwerb von Alkohol genutzte Kaufkraft in die Nachfrage nach anderen Gütern fließen. Dies geschah nachweislich nicht und die Zahlen sind hier auf Grund des legalen und damit deutlich transparenten Charakters dieser Märkte und der darin tätigen Anbieter deutlich zuverlässiger, als direkte Aussagen über das Trinkverhalten.

Relativ unbestritten ist auch, das gerade die problematischsten Formen des Alkoholkonsums, mit deren Konsequenzen die emotional effektivste Werbung für das Alkoholverbot betrieben wurde, das Trinken bis zum Exzess, zugenommen hat. Selbst wenn die Anzahl an, aus heutiger Sicht, moderaten Trinkern zurückgegangen ist (wobei in der Sichtweise der Prohibitionsbefürworter, welche die öffentliche Meinung um 1919 herum dominierte, moderates Trinken eine Illusion war und nicht existierte) und der Alkoholkonsum pro Kopf zurückging, so haben gerade die Konsumvarianten, die besonders schädlich sind und den Anlass für die ursprünglich breite Unterstützung des Verbotes gaben, in ihrem Ausmaß zugenommen.

Vermutlich waren vor allem zwei Gründe hierfür maßgeblich. Zum einen begannen die Kunden der in der Prohibitionszeit entstandenen illegalen Bars ihre Besuche zum möglichst intensiven Konsum von möglichst viel Alkohol zu nutzen. Wenn man schon das Risiko einging, bei einer nie auszuschließenden Razzia festgenommen und bestraft zu werden, dann sollte es sich auch lohnen.

Der anderen Grund, der mehr eine Vermutung meinerseits ist, könnte ein fehlender, moderierender Effekt durch mäßige Mittrinker sein. Wenn alle in der alkoholisierten Runde möglichst tief ins Glas schauen wollen und sich niemand zurückhält, dann fehlt vielleicht auch ein Korrektiv. Neben dem Wunsch, dass sich der illegale Konsum, bei allem rechtlichen Risiko, auch lohne, könnte gerade auch ein Fernbleiben gesetzestreuer, vorher in geselliger Runde mäßig trinkender, nun aber trockener oder zumindest noch seltener trinkender Bürger, hierauf einen negativen Effekt gehabt haben.

Unbestritten ist die Übernahme des Alkoholmarktes durch Kriminelle. Nur von wenigen wird der Aufstieg und das Wachstum der organisierten Kriminalität durch das neue Geschäftsfeld und seine Einnahmen bestritten.

Diese kriminellen Strukturen verschwanden nach der Aufhebung der Prohibition nicht einfach. Sie blieben bestehen, wenn auch erst einmal geschwächt, denn außer zur Umgehung der Steuer lohnt sich ein Schwarzmarkt bei grundsätzlich legalen Produkten nicht, wenn vielen Kunden die Vorzüge eines legalen Marktes die Steuern wert sind.

Sie wendeten sich anderen, weiterhin illegalen Geschäften zu, um mit diesen in den kommenden Jahren nach einer Neustrukturierungsphase erfolgreich ihre Verluste wieder auszugleichen.

Die Alkoholprohibition in den USA bestand keine 14 Jahre. Das Verbot anderer Substanzen, von Kanabis bis Heroin und Opium, besteht in vielen westlichen Länden seit über 80 Jahren. In der Zwischenzeit haben Drogenkartelle jahrzehntelang teilweise tief verwurzelte, kriminelle Strukturen aufgebaut, auf denen ganze, möglicherweise lebenslange Verbrecherkarrieren, vom kleinen Drogendealer um die Ecke bis zum einflussreichen, mächtigen Hintermann aufbauen. Nach 80 Jahren, mehreren Generationen, haben sich kriminelle Struktureren viel tiefgreifender verfestigt, als dies in den 14 Jahren der amerikanischen Alkoholprohibition möglich war. Dies stellt jeden Versuch, sich von der solange praktizierten Prohibitionsstrategie abzuwenden, vor enorme Probleme in der Umsetzung, wenn man nicht zum zweiten mal eine Situation verschlimmbessern will. Wäre Alkohol seit 80 Jahren verboten, jegliche Legalisierungsbemühungen stünde vor dem selben Problem.

Vor welchen Problemen eine Umkehr in der Drogenpolitik stünde, wird an der Legalisierung der Prostitution deutlich, deren Ausgestaltung in Deutschland auf Betreiben der Grünen stattfand und deren konkrete Ausgestaltung von einer erstaunlichen, grünen Naivität geprägt war. Während in Österreich eine strengere Regulierung griff, wurde die Prostitution in Deutschland in einem lediglich 3 (in Worten: drei) Paragraphen langen Gesetz geregelt. Es handelt sich um drei kurze Paragraphen, die Sie hier nachlesen können. Die Grünen, ansonsten eigentlich mit die ersten, die sich neue Einschränkungen und Regulierungen ausdenken, wollten damit die Prostitution nicht nur legalisieren, sondern die gesellschaftlichen Werte verändern: Prostitution sollte als normal angesehen werden und der rechtliche Umgang schien den Grünen für die moralische Wahrnehmung durch die Gesellschaft normativ zu sein.

Ob dieser Anspruch, die gesellschaftliche Beurteilung der Prostitution zu verändern, und das genutzte Mittel angesichts der Natur der Prostitution an sich realistisch war, sei einmal dahin gestellt. Egal was man von der Prostitution als solcher halten mag, so scheiterte dieses Vorhaben der Grünen schon an einem fundamentalen, wenn auch äußeren Umstand, der nicht intrinsisch in der Prosititution selber angelegt ist und daher unabhängig von ihrer inneren Natur greift: Prostitution ist seit über einem Jahrhundert illegal gewesen und ist in dieser Zeit vollständig einem kriminellen Milieu überlassen wurden, dass mit diesem Geschäft, für das es ein ausgeprägtes, weitverzweigtes Netzwerk an skrupellosen und gewaltbereiten Zuhältern bedarf, enormen Gewinn machen kann, durch den dieses Netzwerk auch rentabel ist. 

Wenn man erst einmal für längere Zeit den Pfad der Prohibition eines gewinnträchtigen, aber stark nachgefragten Gutes eingeschlagen hat, für dessen erfolgreichen Vertrieb ein weit verzweigtes Netzwerk an Händlern und Korruption notwendig ist und sich gewaltbereite Banden zur Etablierung und Verteidigung eines Kartells rentieren, dann ist es sehr schwer ihn wieder zu verlassen.

Eine Aufhebung der Prohibition wäre eine anspruchsvolles Unternehmen. Den Pfad der Prohibition zu verlassen, würde ein enges, regulatorisches Korsett benötigen, dessen Übertretung hart zu ahnden ist, um den kriminellen Einfluss zurück zu drängen. Dies könnte, wenn überhaupt noch möglich, Jahrzehnte dauern. Ein solche Projekt bräuchte also viel Durchhaltevermögen.

Doch Unabhängig von der Frage, wie mit den aktuell bestehenden Verboten zu verfahren ist, lässt sich aus diesem Dilemma eine wichtige Lehre für die Zukunft ziehen: Bevor man ein scheinbares oder tatsächliche Problem mit einem vollständigen Verbot zu lösen versucht, sollte man noch einmal innehalten, ob man diesen Weg wirklich einschlagen will.


Techniknörgler


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