15. Januar 2015

5 Millionen Mal Satiremagazin

Ein weinender Mohammed zeigt sein Schild „Je suis Charlie“. Und die Überschrift dieser Titelseite lautet: „Alles ist vergeben“. Der Idee-Geber und die Redaktion haben sich auf ein Niveau erhoben, das angesichts der früheren vulgären Karikaturen niemand erwartet hätte. Ein Sieg der besten abendländischen Tradition. Man schaut noch einmal hin: Und das hat nicht ein Papst gemalt und gesagt.

Die Veränderung zu einem solchen Geist ist nicht auf der Seite der Täter geschehen, sondern auf jener der Opfer. Das deutsche Feuilleton (Christian Geyer, FAZ 14. Januar) glaubt, auch dem Islam werde durch eine wissenschaftliche und „religionskompatible Hermeneutik“ seiner heiligen Schrift künftig die gleiche Reform gelingen, die das neuzeitliche Christentum errungen hat, und seiner „heiligen Einfalt“ entkommen, „die mitunter mörderisch ist“.

Hoffen würden wir das alle gern. Doch diese Erwartung übersieht einen wichtigen Unterschied. Im Judentum und Christentum bedeutet Reform zum ursprünglichen Glauben einen Blick nach vorne, eine Öffnung zu einer neuen zukünftigen Friedenszeit. Im Islam bedeutet hingegen Reform zum wahren Glauben immer ein Zurück zu der strengen Praxis am Anfang, nur dort liegt das Heil.

Vielen Journalisten fehlt das Wissen, dass zwischen Religion und Religion ein großer Unterschied walten kann. Und schließlich kennt das Judentum in den Jahrhunderten nach dem Babylonischen Exil den Blick auf den (jüdischerseits zumeist kollektiv verstandenen) Leidensknecht, und das Christentum kennzeichnet der Blick auf das Kreuz. Glaubensreform im Sinn des Stifters heißt für den Islam aber, sich auf das Gottesrecht des Anfangs und das Schwert zu berufen.

Diesen fundamentalen Unterschied darf man nicht durch die nur europäisch-einsichtigen Argumente verdrängen: Die radikalen Muslime seien bloß verirrte Außenseiter und sie seien leider auch zu dumm, um die Gattung Karikatur zu verstehen.

Von GRESER & LENZ ist in derselben Nummer der FAZ eine selbstkritisch scharfgelungene Zeichnung zu sehen: Eine Ehefrau zieht die Bettdecke über ihre Nacktheit, der vom heimkehrenden Ehemann im Schrank entdeckte nackte Liebhaber entschuldigt sich mit dem „Je suis Charlie!“ Und der Ehemann antwortet: „Na, dann will ich mal ein Auge zudrücken“. Die Karikatur erklärt ihre Absicht zusätzlich durch den Untertitel: „Die Solidarität ist grenzenlos“. Jawohl, wir Gutmenschen.

Wie gut sind wir alle getroffen in unserer Betroffenheit, die wir die Freiheit wollen, ohne dass sie etwas kostet. Diese Karikatur entlarvt das postchristliche Abendland besser als eine kirchliche Mahnung zum Religionsdialog. Kein Weihbischof hat daran erinnert, welchen Versuch der Papa emeritus in Regensburg gemacht hat, mit dem Islam auch über die harte Sache ins Gespräch zu kommen; er hat Erfolg gehabt, leider bisher nur mit westlich geprägten muslimischen Partnern.

Aber nun zur Hauptsache. Wie lange haben unsere Journalisten wieder gebraucht und manche haben es immer noch nicht verstanden, dass die Nebensache die Hauptsache sein kann. Die mörderische Abrechnung galt nicht Franzosen oder Polizisten, sondern vor allem dem Judentum. Und schon wieder zitieren unsere Journalisten eifrig auch die Meinung, der Auswanderungsaufruf Netanjahus nutze den Antisemitismus in Europa aus für seine eigenen Zwecke.

Warum wurde bei der Gedenkkundgebung am Ballhausplatz kein Wort über die vier jüdischen Opfer im koscheren Supermarkt gesagt? Jeder will Charlie sein, aber keiner Jude?

Warum wollen tausende Juden aus Europa aus Angst auswandern, 70 Jahre nach Auschwitz? Warum sind für Nachbarn des Staates Israel die Juden an allem schuld? Was ist das Ärgernis mitten in einer Welt von hunderten Millionen von ‚wahren‘ Gläubigen?

Es gibt in Deutschland viele Israelfreunde, aber gegenüber den Israelkritikern haben sie kein Gewicht, und so gibt die Mehrheit der Deutschen Israel die alleinige Schuld für Krieg und Elend im Nahen Osten.

Und hier zeigt sich vielleicht auch eine Grenze für die glänzend Vergebung gewährende Karikatur mit dem weinenden Mohammed. Ist es doch nur ein postabendländischer Traum, ein schöner, aber unrealistischer Friedenstraum?

Ludwig Weimer

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