9. April 2015

Seidenstraße auf russisch

In China plant man langfristig. Auch in der Außenpolitik. Die Strukturierung der künftigen Außenhandelspolitik wird daher von der Regierung unter dem Titel "Neue Seidenstraße" unter die Medien gebracht. Ein sehr geschickt gewähltes Etikett für eine im Kern produktive Infrastrukturinitiative, gemischt mit solider Machtpolitik. Unter anderem kommt dabei auch Rußland als eines der vielen Länder vor, denen eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit in Aussicht gestellt wird.

In Rußland hat Putin wohl auch langfristige Ziele, aber mit der taktischen Umsetzung ist er aktuell ziemlich im Sumpf steckengeblieben.
Das führte dann zu einer recht eigenartigen Reaktion auf die "Seidenstraße"-Initiative in Form eines fiktiven Rückblicks aus dem Jahr 2025. Sie zeigt, wie weit sich die russische Politik von der Realität entfernt hat.
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Als Ursache der aktuellen Konflikte sieht der Autor:
Im Westen gewann eine Auslegung des Zweiten Weltkriegs Oberhand, die ihn als gemeinsames Verbrechen von Sowjetunion und Nazideutschland sieht.
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Als Reaktion darauf setzte sich in Russland die gegenteilige Version durch.
Das ist ziemlich abstrus.
Es gab keine solche Entwicklung im Westen. In den ehemaligen Ostblockstaaten gab es von Anfang an ein gehöriges Maß an Kritik gegenüber der Sowjetunion. Und umgekehrt gab es bis in die jüngste Krise hinein in den westeuropäischen Staaten kaum Überlegungen dieser Art. Die russische Sicht der Geschichte hat sich unabhängig von beiden Varianten entwickelt.
Und keine dieser drei Sichtweisen auf den zweiten Weltkrieg hat auch nur im geringsten mit der Krimkrise oder dem Krieg in der Ostukraine zu tun.

Die Volksrepublik unterhält einen großen Marinestützpunkt auf der Krim, als unmittelbarer Nachbar der russischen Schwarzmeerflotte.
Das schwarze Meer ist seestrategisch eine Sackgasse. Interessant maximal für den Küstenschutz der Anrainer oder speziell für die Russen als mögliche Verbindung zum Mittelmeer. Für die chinesische Marine wäre ein Stützpunkt auf der Krim etwa so sinnvoll wie ein Hafen am Steinhuder Meer. Diese Idee eines chinesischen Stützpunkts zeigt für mich eigentlich nur den verzweifelten Wunsch, die Krimbesetzung möge doch wenigstens irgendeinen strategischen Nutzen gehabt haben.

Die Rollen wurden klar verteilt: China zahlt, Russland sichert die Investitionen militärpolitisch ab.
Nichts würde den Chinesen ferner liegen als eine solche Rollenverteilung. Wo es etwas "militärpolitisch abzusichern" gälte, da würden sie es schon selber tun. Durch die konsequente Aufrüstung in den letzten Jahren wäre das auch kein Problem, in Mittelasien schon gar nicht. Daß sich China in eine militärische Abhängigkeit ausgerechnet von Rußland begeben würde kann nur jemand annehmen, der die historischen Traumata Chinas ignoriert.

Schließlich führt die Seidenstraße nach Ost- und Südeuropa, wo die langen Ströme des chinesischen Exports enden.
Eben. Die ganze "Seidenstraße"-Idee beruht darauf, daß Europa und China die wesentlichen Partner sind. Die Transitländer sind für die Infrastruktur wichtig, aber entscheidend sind die Endpunkte. Im Rahmen des Projekts soll es zwar auch Verbindungen nach Rußland geben - aber die wesentliche Route läuft über See, die sekundäre Landroute über die Türkei und den Balkan, weitab von Rußland.

Zentraleuropa ist im Jahr 2025 von einer depressiven Peripherie umgeben. Die Ukraine ist zu einer riesigen eingefrorenen Konfliktzone geworden, aber auch um den Balkan sowie einen gehörigen Teil Ost- und Südeuropas ist es schlecht bestellt.
Natürlich ist denkbar daß Putin es schafft die Ukraine in die Depression zu treiben.
Aber auch wenn es den Sowjet-Nostalgikern in Rußland nicht gefällt: Ansonsten gehören gerade die osteuropäischen Länder zu den dynamischsten in Europa. Die sich immer besser entwickeln - und zwar deutlich in Richtung Westen.

Zwar erfreut sich das russische Volk noch immer größerer persönlicher Freiheiten als das chinesische. ... Doch das chinesische Modell der Zivilgesellschaft übt für Moskau eine große Anziehungskraft aus.
Was mag der Autor hier geraucht haben?
Derzeit wissen die Bürger beider Länder kaum, was im jeweils anderen Land vor sich geht. Sie orientieren sich - im Guten wie im Schlechten - am Westen. Sie nehmen ihn als Vorbild oder wollen sich von ihm abgrenzen. "Persönliche Freiheiten" oder "Zivilgesellschaft" spielen weder im System Putin noch im System Xi eine besondere Rolle, geschweige denn daß sie irgendeinem anderen Staat als Vorbild dienen würden.

Der Autor gilt als Vordenker der russischen Außenpolitik, vermittelt westlichen Medien gerne die Kreml-Sicht auf die Welt. Und wenn es um tagespolitische Kommentare geht, dann hatte ich bisher den Eindruck, daß er zwar im wesentlichen Putins Standpunkt verteidigt, aber doch relativ vernünftig analysiert.

Mit dieser Vorschau auf 2025 offenbart sich m. E. eine nicht mehr durch Tagespolitik verdeckte Verzweiflung an der Lage Rußlands. Mit völlig unrealistischen "Seidenstraße"-Träumen wird davon abgelenkt, daß es real bergab geht.

Die Chinesen werden Putin aber nicht aus der Patsche helfen. Sie werden ihn ab und zu benutzen, um in Maßen über die Bande spielend die USA zu ärgern. Und sie werden auch vorsichtig bei den sibirischen Rohstoffen zugreifen. Aber sehr vorsichtig - weil sie genau wissen, daß Rußland Lieferabhängigkeiten politisch ausnutzen wird.
Aber ansonsten ist Rußland für sie Peripherie. Ihr Schwerpunkt ist die Entwicklung des eigenen Landes, die Verfügungsgewalt über Rohstoffe, die Sicherung des Handels mit ihren Partnern in Amerika und Europa und die Ausweitung ihrer Einflußsphäre in Asien. Da kommt die Krim nicht vor.

R.A.

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