19. August 2015

Begegnung in Kazimierz

Bei einer Polenreise ist der Besuch in Krakau auf jeden Fall ein Höhepunkt. Historisch eines der glänzendsten Kulturzentren Europas und von Kriegen unzerstört. Die Altstadt, die Museen, der riesige Marktplatz, der Dom mit dem Veit-Stoß-Altar, die Königsburg - eine Fülle von touristischen Leckerbissen.

Und Kazimierz, das alte jüdische Viertel. Vor dem Krieg die größte jüdische Gemeinde in Europa mit einer großen kulturellen Tradition.
Dann kamen die Massenmörder. Von 3 Millionen Juden in Polen überlebten nur einige hunderttausend die Nazi-Herrschaft. Die aber ebenfalls nicht bleiben konnten. Beim Thema Antisemitismus waren sich die meisten Polen recht einig mit den deutschen Besatzern. Kurz nach dem Ende der KZ-Morde gab es schon wieder Pogrome, spätestens nach der antisemitischen Kampagne der kommunisten Führung 1968 war das Land "judenrein".
­
Auch in Kazimierz gibt es heute fast keine Juden mehr. Aber es gibt Synagogen und Friedhöfe, Ausstellungen und jüdische Kulturveranstaltungen. Das "jüdische Kazimierz" ist eine wesentliche Attraktion des touristischen Krakaus.

Und so sitzen dann in den jüdischen Restaurants vor der alten Synagoge die Touristen und lassen sich "gefillte Fisch" servieren, während die Klezmer-Kapelle munter dazu aufspielt.
Deutsche Gäste und polnische Kellner und Musiker, die gemeinsam das von ihren Landsleuten vernichtete Judentum zelebrieren ...
Ist das nun makaber oder gar zynisch?
Oder einfach nur eine sonderbare Konstellation?

Auf jeden Fall kann man wohl davon ausgehen, daß die Deutschen und Polen im heutigen Kazimierz die jüdische Tradition wirklich respektieren.
Die deutschen Gäste allemal, die extra wegen dieser Wertschätzung anreisen. Zwar wären viele von ihnen wohl jederzeit fähig, eine Petition gegen das moderne Israel zu zeichnen. Aber das wäre dann Dummheit, kein bewußter Antisemitismus.
Und natürlich würden - wie in jedem Land der Welt - die Beschäftigten der Tourismusbranche auch in Polen fast beliebigen Unfug mitmachen, wenn er nur den Gästen gefällt. Aber der Umgang mit den Denkmälern und das kulturelle Engagement zeigen, daß es auch in Polen eine Aufarbeitung gegeben hat und das Judentum positiver gesehen wird als vor zwei Generationen.

Die Nachfahren der Überlebenden von Kazimierz leben heute in den USA und in Israel. Und dem Vernehmen nach reisen auch sie gerne nach Krakau. Wahrscheinlich genießen auch sie ohne weitere Probleme die "original jüdische" Küche und Kultur. Gleich am Nebentisch.

R.A.

© R.A.. Für Kommentare bitte hier klicken.