2. Oktober 2015

Alte Rivalen

Eine erstaunliche Schlagzeile: "Russische Luftangriffe verärgern die Türkei". Erstaunlich nicht nur inhaltlich: Sowohl Rußland wie die Türkei kämpfen offiziell gegen den IS, aber real bombardieren sie dessen Gegner. Rußland die syrische Opposition, die Türkei die Kurden. Bei so viel Gleichklang müßten die Türken sich ja freuen, nicht verärgert sein.
Aber erstaunlich auch wegen der Details des Protests. Der wurde nämlich von den Alliierten erhoben, also den USA, Frankreich, Großbritannien und dann noch diversen arabischen Staaten und eben der Türkei. Und übrigens auch Deutschland - aber das ist nur unwichtige Folklore.

Wie kommt also der Spiegel dazu, nur über die Türkei zu reden, wenn normalerweise die USA als Hauptakteur gelten? Das liegt wohl nur daran, daß die Erklärung von der türkischen Regierung veröffentlicht wurde. Es ist eher unwahrscheinlich daß der Spiegel-Reporter begriffen hat, was er da eigentlich abschreibt.

Denn eigentlich geht es um etwas ganz Anderes: Den Konflikt der beiden traditionellen Gegner Rußland und Türkei um ihre Einflußsphären im Nahen Osten.
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Und "traditionelle Gegner" ist hier sehr ernst zu nehmen. 12 Kriege haben die beiden Staaten gegeneinander geführt, seit sie vor 400 Jahren zum ersten Mal aufeinander getroffen sind. Trotz kurzer Phasen mit Wirtschaftskontakten waren und sind sie auch durchgehend politisch verfeindet.
Heute sind sie beide nur noch Schatten ihrer imperialen Glanzzeiten, aber ihre autokratischen Führer wollen sie wieder zu Großmächten machen und die alten Einflußsphären wieder herstellen.

Und diese Rivalität wird auf diversen Schauplätzen ausgefochten.
Im Kaukasus setzt die Türkei auf Georgien und Azerbeidschan, Rußland auf Armenien. In Mittelasien setzt die Türkei auf die Verwandschaft zu Völkern wie den Turkmenen, Kirgisen und Usebken, Rußland auf die russischen Minderheiten in den Ex-Sowjetrepubliken.
Und in Libyen unterstützt die Türkei die islamistische Regierung im Westen, Rußland die international anerkannte Regierung im Osten.

Und eben auch in Syrien.
Rußland war schon immer der Hauptverbündete der Assad-Diktatur und hält in Latakia einen Militärstützpunkt, der für Putins Großmachtambitionen überaus wichtig ist. Rußland ist Hauptausrüster der syrischen Armee und hat Assad seit Beginn des Bürgerkriegs massiv unterstützt.
Umgekehrt hat die Türkei den Aufstand gegen Assad maßgeblich mitvorbereitet und beständig unterstützt. Die syrische Oppositionsspitze hat ihren Sitz in Istanbul und die Oppositionstruppen wurden von der Türkei ausgebildet und ausgerüstet. Diese türkische Unterstützung war für die FSA wohl immer deutlich wichtiger als Alles, was von arabischen oder westlichen Staaten kam.

Auch als der IS als neue Oppositionsgruppe in Syrien aktiv wurde, bekam er von der Türkei (aber nicht von den USA) eine gewisse Unterstützung. Die zum großen Problem für Erdogan wurde, als der IS auf die Gegenwehr der Kurden stieß, die bis dahin politische Partner für Erdogans Regierung waren.

Mit dem Auftauchen von IS ist die Lage nun völlig wirr.
Assad mit seinen Verbündeten aus Rußland, dem Iran und der Hisbollah kämpft gegen die syrische Opposition und etwas gegen den IS.
Die Türkei unterstützt die syrische Opposition und kämpft gegen die Kurden, die innerhalb Syriens Teil der Opposition sind.
Der IS kämpft in erster Linie gegen die FSA und die Kurden, und etwas gegen Assad.
Die USA sind unter Obama nur noch eingeschränkt handlungsfähig und unterstützen etwas die syrische Opposition und bekämpfen ein bißchen den IS.

Für die syrische Bevölkerung sind die Aussichten katastrophal.
Assad ist eigentlich am Ende, er kann kaum noch Soldaten rekrutieren, die für ihn kämpfen würden. Aber da Putin ihn nun auch direkt durch Einsatz russischer Truppen unterstützt, kann Assad nicht direkt besiegt werden.
Umgekehrt ist es sehr unwahrscheinlich, daß Putins Armee mit ihren einheimischen Hilfstruppen die Opposition militärisch besiegen kann.

Sowohl Erdogan wie Putin sind innenpolitisch angeschlagen und leben nur noch von ihrem Image als "starker Mann". Keiner kann sich militärischen Gesichtsverlust leisten. Aber keiner kann sich eine direkte Militärkonfrontation mit der anderen Seite leisten.
Die Rivalen haben sich ineinander verbissen und haben keinen vernünftigen Ausweg. Es bleibt ihnen nur, den Konflikt - auf Kosten der Zivilbevölkerung - in die Länge zu ziehen und in der Schwebe zu lassen.

Wobei die Türkei die besseren Chancen hat. Sie kann sich den Konflikt wirtschaftlich leisten, Rußland ist bereits überfordert. Erdogans taktische Probleme beruhen auf seinem IS-Fehler. Grundsätzlich wäre es nicht schwer für ihn, mit den Kurden wieder zu einem halbwegs konstruktiven Verhältnis zu kommen.

Für Putin dagegen schien es vielleicht eine gute Idee gewesen zu sein, durch einen erfolgreichen Auslandseinsatz die USA zu demütigen und seinen Stützpunkt zu sichern. Aber eigentlich hat er keine echte Aussicht auf einen Erfolg im Sinne der Re-Etablierung eines befriedeten und Rußland-freundlichen Syriens. Er hat sich in den syrischen Sumpf begeben wie die USA in Vietnam und die Sowjets in Afghanistan. Und er positioniert sich immer deutlicher als Feind der gesamten sunnitischen Welt.

Letztlich hat keiner der beiden historischen Rivalen das Potential und die diplomatische Kompetenz, um ihre Großmachtträume zu realisieren. Erdogan und Putin leben geistig im 19. Jahrhundert und haben nicht begriffen, daß man seine Bürger und seine Nachbarstaaten nicht mehr behandeln kann wie Zar und Sultan ihre Untertanen und Vasallenstaaten.
Aber ihre Dummheit und ihr Größenwahn ruinieren das Leben von Millionen Menschen.

R.A.

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