12. Februar 2016

Das Geld der anderen oder „Ist Deutschland wirklich so reich?“


Die Aussage das Deutschland furchtbar reich ist gehört nicht erst seit der Flüchtlingskrise zur Talkshowfolklore. Auch dieser Autor wird nicht verhehlen, dass er die Aussage durchaus das eine oder andere Mal getroffen hat (mea culpa). Dennoch ist ihre Pauschalität natürlich hart am Rande dessen, dass man sich fragen muss, was man damit überhaupt aussagen will. Denn, praktisch und deshalb auch in jeder Talkshow sehr beliebt, ist die Interpretation der Aussage auch vergleichsweise beliebig. Höchste Zeit ein bisschen zu reflektieren was es eigentlich bedeutet. 

Nu stelle mer uns janz dumm und fragen uns: Wann ist eine Gesellschaft eigentlich reich? Schon da wird’s schwierig. Denn was ist diese Gesellschaft genau? Die Summe ihrer Individuen? Oder die Gesamtheit des von der Gesellschaft gebildeten Staates? Dieser Unterschied ist nicht nur gewaltig, er ist alles entscheidend, wie man im Folgenden schnell sieht.
Betrachten wir zunächst die Seite, die als Gesellschaftsvermögen erst einmal die Dinge versteht, die dem Staat direkt gehören. Dazu würden dann alle Flächen, Gebäude, Straßen, Infrastruktur und sonstigen Besitztümer des Bundes, der Länder und Kommunen gehören, genauso wie staatliche und kommunale Unternehmen. Dem gegenüber stehen natürlich auch sämtliche Schulden, die Staat, Länder und Kommunen angehäuft haben. Und da fehlt noch etwas Wichtiges, nämlich die „versteckten“ Schulden, die in Rentenversicherung, Kranken- und Pflegeversicherung wie auch in den Pensionsverpflichtungen des Bundes bestehen. Summiert man nur diese Schulden kommt man auf nahezu acht Billionen (!) Euro. Die Besitztümer des Bundes liegen im Wert weit darunter, bei einer Firma würde man von Überschuldung sprechen. Betrachtet man also das Gesellschaftsvermögen als staatlichen Besitz, dann müsste man konstatieren, dass die deutsche Gesellschaft nicht reich ist. Sondern überschuldet. Sogar schwer überschuldet. Als kleine Randanmerkung dazu: Wenn also Schäuble wieder so toll verkündet das der Bund derzeit keine neuen Schulden mache, dann ist das Augenwischerei der übelsten Sorte. Denn die eigentliche Schuldenmaschine, der Generationsbetrug, setzt jeden Tag neue Schulden in die Welt, gegen den die Bundesschulden geradezu klein wirken. Das Problem der steigenden Lebenserwartung mit der gleichzeitigen Verweigerung Kinder großzuziehen, ist eines was die deutsche Politik nicht wirklich adressiert. Der größte Schuldenberg dieser Gesellschaft besteht darin, dass sie keine Kinder in die Welt gesetzt hat, doch das nur am Rande.
Doch kommen wir zurück zum Thema. Was ist das Vermögen der Gesellschaft? Nehmen wir jetzt die andere Seite und betrachten das Vermögen der Gesellschaft als den Besitz aller seiner Individuen. Da wird dann gerne das Reinvermögen mit etwa 10-12 Billionen Euro eingeworfen. Gemessen an den gemeinsamen Schulden bliebe dann immer noch ein „Überschuss“ von vielleicht fünf Billionen Euro. Klingt gut und klingt reich. Somit sind die Deutschen also reich.
Ist da irgendwo ein Fehler? Ein Fehler im eigentliche Sinne ist es nicht, denn es stimmt ja nach obiger Definition, es gibt da nur ein kleines Problem: Artikel 14. Es handelt sich um Eigentum. Und zwar um das Eigentum der Individuen. Als Gesellschaft haben wir erst einmal keinen Zugriff auf dieses Vermögen, jedenfalls nicht, so lange wir an der Verfassung festhalten wollen. So betrachtet handelt es sich um reichlich theoretisches Vermögen. Denn Vermögen über das ich nicht verfügen kann ist bisweilen vollkommen nutzlos. Auch die Sozialbindung des Eigentums nützt hier wenig, denn sie räumt keine Verfügungsgewalt über das Kapital ein.
Das ficht natürlich den gemeinen Linken im Allgemeinen nicht an, er nimmt Artikel 14 ja ohnehin nicht ernst. Aber auch dieser Linke hat am Ende ein Problem, denn Kapital hat neben einem Besitzer noch eine zweite, ebenso unangenehme Eigenschaft: Es ist verdammt scheu. Tritt man ihm zu nahe, dann haut es ab. Und das schlimme ist: Das kann es auch. Wie immer so schön beklagt wird, gehört nahezu die Hälfte dieses Geldes weniger als zehn Prozent der Bevölkerung, und das sind ausgerechnet die, die am mobilsten sind. Millionäre (des Linken liebstes Feindbild) können, wenn auch unter Verlusten, das Land bisweilen einfach verlassen. Sie sind gebildet, sie haben Ressourcen und sie sind wo anders willkommen. Und sie nehmen ihr Geld natürlich mit (mal ab von einigen Immobilien, die sie eventuell verlustbehaftet abstoßen müssen). Am Ende bleibt vor allem eins zurück: Schulden. Jetzt kommt natürlich gerne der Einwand, das Schulden nie zurückbleiben können, schließlich muss jedem Euro an Schulden ja auch ein Guthaben entgegenstehen. Aber genau das ist falsch: Den Aberbillionen, die in Rentenversprechen und Pensionsverpflichtungen bestehen, steht genau gar nichts entgegen. Das ist Geld, das in Zukunft gebraucht wird. Es sei denn man will diese Leute, die nicht mehr so viel beitragen können, verhungern lassen. Eine Gesellschaft, die zur Hälfte aus Rentnern und Pflegebedürftigen besteht, mag formal keine Schulden haben, trägt aber einen massiven Mühlstein mit sich herum.
Summiert man das alles zusammen, dann kommt man zu dem vielleicht überraschenden Ergebnis: Deutschland ist überhaupt nicht reich. Es gibt reiche Deutsche, und gar nicht so wenige, aber als Gesellschaft sind wir überhaupt nicht reich. Im Gegenteil, wir sind schwer verschuldet und haben eine Zukunftshypothek auf die wir keine Antwort haben. Wenn wir davon reden, dass Deutschland reich ist, dann meinen wir im Allgemeinen das Geld anderer Leute.
Und dann wird es interessant, wenn man sieht in welchem Kontext das Mantra vom deutschen Reichtum immer wiederholt wird: Wenn es darum geht irgendwelche (in der Regel linken) gesellschaftlichen Experimente zu finanzieren. Wer, wenn nicht Deutschland? Wer könnte so viele Flüchtlinge aufnehmen, wenn nicht Deutschland? Wer könnte eine Energiewende durchführen, wenn nicht Deutschland? Wer könnte Europa retten, wenn nicht Deutschland? Die Antwort ist simpel: Kaum einer. Auch Deutschland nicht. Deutschland in dem Sinne hat das Geld nicht. Nicht für Millionen Flüchtlinge, nicht für den ESM und auch nicht für den Energieschwachsinn. Das sind allesamt Schulden, die wir in die Zukunft schieben. Das Land benimmt sich wie ein überschuldeter Verschwender, der einen Konsumkredit nach dem anderen aufnimmt und sich reich wähnt, wenn er das Geld verschleudert.
Das dicke Ende kommt. Es kommt nicht schlagartig, aber es kommt. Es kommt, wenn wir feststellen, dass das Geld, das wir lieber für Renten aufgespart hätten, in Griechenland verloren ging. Es kommt, wenn wir feststellen, dass das Geld, das wir in sinnlose Rotoren und unnütze Solarzellen verschleudert haben, dort fehlt wo Pflegekräfte bezahlt werden müssen. Es kommt, wenn wir feststellen, dass das Geld, das wir in Millionen von Flüchtlinge investiert haben, die in unserer Gesellschaft nahezu keinen positiven Einfluss haben können, bei der bröckelnden Infrastruktur gefehlt hat und unseren industriellen Kern beschädigt hat. Das kommt alles langsam, aber es kommt: Es kommt in sinkenden Renten, in schlechterer Pflege, schlechterer Versorgung, immer mehr Lasten für die verbleibenden Arbeitenden, vergammelnder Straßen, Verarmung. Reich? Das einzige was ich in dem Kontext sehe, worin Deutschland wirklich reich ist, ist reich an Überheblichkeit. Wer, wenn nicht Deutschland?

Llarian


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