29. März 2016

Die kleinen Dinge. Ein Gedankensplitter zu Oberlehrern und mentalen Porschefahrern


Stellen Sie sich folgende Szene in einem x-beliebigen Discounter in Deutschland vor, lieber Leser: Zwei Männer stehen mit ihren Einkaufswagen an der Kasse. Der vordere hat seine Artikel fast vollständig auf dem Band, der hintere hat gerade begonnen. Nun stellt der vordere fest, dass eine Flasche von dem Wasser, dass er kaufen will, ein beschädigtes Etikett aufweist. Er legt daraufhin die Flasche irgendwo in die Auslage. Der hintere Mann bemerkt dies und weist ihn darauf hin, dass er seine Ware nicht vergessen soll. Der erste Mann geht darauf nicht ein, wechselt in einen leicht agressiven Tonfall und fragt den zweiten, ob dieser "ein Problem damit habe". Nach kurzem Nachdenken sagt der zweite Mann "Ja. Habe ich." Der "Streit" eskaliert noch zwei Stufen weiter bis die Kassiererin es bemerkt, sich die Flasche geben lässt und damit die Situation beruhigt. 
Was ist hier geschehen? Eine Bagatelle, selbstredend. Der erste Mann hat sich schlecht benommen, der zweite hat den Oberlehrer gegeben. Aber wer hat sich nun falsch verhalten ? Der erste ? Der zweite ? Oder gar beide ? 

Der erste hat ja zunächst mal nix dramatisches getan, er hat halt eine Flasche irgendwo in die Auslage gelegt, weil es ihm unangenehm war diese der Kassiererin direkt zu geben. (Am Ende eines Tages muss dann irgendein Lehrling die halt wieder einräumen. Sieht man ständig, bei Kühlartikeln werden diese dann regelmäßig weggeworfen. ) Das ist nicht verboten. Allenfalls schlechtes Benehmen.
Der zweite hat auch nix verbotenes getan, er hat halt gemosert. Und belehrt. Und belehrt werden wir ja alle nicht gerne. Hätte er einfach die Klappe gehalten, so wäre ja auch nix dramatisches passiert.

So simpel wie die Sache ist, würden viele zu dem Ergebnis kommen, dass es sich nicht lohnt sich Gedanken dazu zu machen (ich hoffe trotzdem, dass sie noch bei mir sind, lieber Leser). Ich glaube es lohnt sich Gedanken zu machen. Denn so harmlos das Beispiel ist, so zeigt es einen Mechanismus, der durchaus einen ganz erheblichen Teil des sozialen Friedens beeinflussen kann: Die Einhaltung sozialer, oftmals ungeschriebener, Regeln. Man könnte auch sagen, die Unterscheidung zwischen Dingen, die man macht, und Dingen "die man nicht macht".
Soziale Regeln haben in der Regel keinen Gesetzstatus, sie nicht zu beachten hat, selbst wenn sie in irgendeiner Form gummiartig aufgeschrieben sind, nahezu nie staatliche Folgen. Aber eine Gesellschaft kann erheblichen Nutzen daraus ziehen, wenn soziale Regeln eingehalten werden. Ganz simple Beispiele finden sich im Strassenvekehr. Lassen Sie jemandem auch schon einmal die Vorfahrt, auch wenn sie das nicht müssen, lieber Leser? Insbesondere an Einmündungen, wo der Einbieger ansonsten lange festkleben bleiben kann? Oder verwenden Sie beim Zusammenführen zweier Spuren den Reissverschluss? Oder gehen Sie auf der Autobahn auf die zweite Spur, damit der LKW genug Platz zum Auffahren hat? All das müssen sie nicht unbedingt tun, aber es hat Vorteile für alle (und damit auch für Sie selbst), wenn Sie es tun. 
Aber auch ausserhalb des Strassenverkehrs ist die Welt voller sozialer Regeln: Das man eben in der Straßenbahn nicht die Stiefel auf den Sitz legt. Das man eben im Zug keine rohen Eier isst. Das man auf dem Spielplatz keine Zigarettenkippen hinterlässt. Das man einen wilden Hund im Stadtpark an die Leine nimmt.

Und was ist mit dem Oberlehrer? Als Oberlehrer nehmen wir im Allgemeinen Personen war, die andere auf die Einhaltung von Regeln hinweisen. Diese Oberlehrer stehen im Allgemeinen in einem ziemlich schlechten Ruf (bestes Beispiel dürfte der bundesweit bekannt  "Knöllchen Horst" sein). Man nimmt sie wahr als Leute, die sich über andere erheben, die belehren wollen, die Autorität wahrnehmen wollen, die ihnen gar nicht zukommt. Das mag zum großen Teil stimmen. Richtig ist aber auch, dass Oberlehrer versuchen einen Regelkanon versuchen durchzusetzen, der von einigen Leuten ignoriert wird. Und ob es so wünschenswert ist in einer Gesellschaft zu leben, wo keiner mehr sich an die eher ungeschriebenen Regeln hält, wage ich auch zu bezweifeln. Der einzelne "Permanent-Spurwechsler-Depp" im Stau, der einzelne permanent Falschparkerdepp, der einzelne leinenlose Hundesdepp, der einzelne gesunde Depp, der permanent Behindertenparkplätze verwendet, der einzelne Depp, der sich an der Kasse dauernd vordrängelt, ist nicht dramatisch. Einzelne Deppen gibts immer. Aber viele Deppen machen das System kaputt. Insofern bin ich nicht so sicher ob die Oberlehrer so etwas schlimmes sind. In aller Regel haben sie in der Sache oftmals recht. Wir werden nur alle eben nicht gerne belehrt. Erst recht nicht von Oberlehrern.

Dieser Autor findet sich (leider) ab und zu in der Rolle des mentalen Oberlehrers wieder. Ich finde man parkt nicht auf dem Behindertenparkplatz, wenn man keine Behinderung hat. Ich finde man lässt die Oma im Bus sitzen und steht auf. Und ich finde auch, man gibt der Kassiererin die Flasche in die Hand und legt sie nicht achtlos irgendwohin. Und ab und zu sage ich auch was. Nicht um mich über den anderen zu erheben. Sondern weil ich der Hoffnung bin, dass auch Leute mit schlechtem Benehmen sich irgendwann ändern. Spass macht das nicht. Menschen mit schlechtem Benehmen sind erstaunlicherweise auch ganz gerne recht agressiv von Natur. Dabei muss eigentlich niemand belehrt werden. Die meisten Leute wissen was man tun oder nicht tun soll. Sie tuns nur nicht.

­
Llarian


© Llarian. Für Kommentare bitte hier klicken.