2. März 2016

Kölner Symbolik


Kaum sind die publizistischen Ausläufer der, so die inzwischen einhellig-distanzierende Sprachregelung, Kölner Ereignisse der Silvesternacht verklungen, muss man dieser Tage erneut die Luft anhalten: schon wieder Köln. Schon wieder eine Art "Mob". Schon wieder „Ereignisse“ und „Vorfälle“.  Der Ort des Geschehens? Nur ein Steinwurf von Kölner Hauptbahnhof und Domplatte entfernt: die Kölner Philharmonie. Eklat in der Kölner Philharmonie: Publikum erzwingt Konzert-Abbruch: „Reden Sie doch gefälligst Deutsch!“ titelt Focus Online. Ein "Beispiel der Verrohung heutiger Konzertbesucher" empört sich Welt Online. "Unerträglich chauvinistisch" echauffiert sich die Neue Osnabrücker Zeitung. Was ist passiert?
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Am vergangenen Sonntag hatte das renommierte und international, sowie von zahlreichen CD-Einspielungen bekannte Musikensemble Concerto Köln im Rahmen der Kölner Abonnementkonzerte einen Konzertabend veranstaltet. Hierzu sollte man wissen, dass Concerto Köln vor allem mit Blick auf die sog historische Aufführungspraxis alter Musik, insbesondere des Barock, bekannt ist.

An jenem Abend hatte man jedoch verschiedenen Werken von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach gleichsam einen stilistisch-ästhetischen Kontrast durch Werke der zeitgenössischen Komponisten Frith, Górecki sowie Reich in der zweiten Konzerthälfte gegenüber gestellt. Hat das Publikum die Kompositionen von Frith und Górecki noch klaglos aufgenommen, so hat sich bei der Minimal-Music von Steve Reich zunehmend Unruhe in der Zuhörerschaft breitgemacht, die sich im Laufe von Minuten zu deutlichen Unmutsbekundungen gesteigert haben. Schließlich ist das Konzert durch den iranischen Cembalisten Mahan Esfahani abgebrochen worden, nachdem dieser noch versucht hatte, das Wort auf Englisch an das Publikum zu richten, wobei dem Vernehmen nach die oben zitierte Äußerung eines Zuhörers gefallen ist. 

Die Tonlage der medialen Berichterstattung über diesen Vorgang bewegt sich zwischen empört und schrill. Dem Publikum werden, auch vom Veranstalter, erhebliche Vorhaltungen gemacht. Unhöflichkeit, Ignoranz und allgemein „schlechtes Benehmen“ werden unterstellt, verbunden mit unterschwelligen Vorhaltungen von Rassismus gegenüber dem ausführenden Cembalisten; ansonsten wäre die in der Berichterstattung immer wieder prominente Nennung der Nationalität des Musikers bei sinngemäßer Auslegung des Pressekodex, vermutlich  nicht erfolgt. Dort heißt es in der Richtlinie 12.2.:

In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.
Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Umgekehrt ist die Nennung der Nationalität des Musikers in der Berichterstattung, obwohl für das Verständnis des Vorgangs zunächst einmal unerheblich, sehr wohl geeignet, das Vorurteil eines rassistisch motivierten Publikums zu befördern.

Möglicherweise geht es bei der ganzen Empörung jedoch nicht nur um die Nationalität des Musikers und angeblichen Rassismus des Publikums, sondern auch darum, daß man heute die unmittelbare und deutlich negative Bewertung einer künstlerischen Darbietung mit Blick auf Gefälligkeit kaum noch gewohnt ist, weil sie im gegenwärtigen Zeitgeist schlicht unerwünscht ist. 

Seit es Kunst gibt, die auch zur Aufführung gelangt, hat es für den Künstler auch das Risiko des Misserfolgs, des Ausgebuhtwerdens gegeben. Ein Gustav Mahler, ein Anton Bruckner, ja selbst ein Wolfgang Amadeus Mozart wußten davon und lebten damit, wie die allermeisten anderen Künstler der Vergangenheit auch. Beim Publikum "durchzufallen" war bislang eine ebenso feste Kategorie wie der "Verriß" durch die Kritik. Wenn es heißt, der Applaus sei das „Brot des Künstlers“, so erhält dieses Brot letztlich auch dadurch seinen Wert und vermag zu „sättigen“, weil es ihm vom Publikum ebenso auch vorenthalten werden könnte. Man denke nur an die Skandale während und nach den Uraufführungen der Elektra von Richard Strauss oder Stravinskys Le sacre du printemps.

Analog zur heutigen Schulbildung, so der Eindruck, möchte man jeglichen Erbringern von Leistung keinerlei Frustration und Misserfolge, gleichsam keine „schlechten Bauchgefühle“, mehr zumuten. Ganz besonders scheint dies jedoch zu gelten, wenn der Leistungserbringer, wie in diesem Fall, einer Minderheit angehört, zum Beispiel wenn er ausländischer Herkunft ist. Wenn „höflicher“ Applaus jedoch die maximale, einem Publikum zugestandene Unmutsäußerung ist, dann wird am Ende auch die Begeisterung eines Publikums bei anderer Gelegenheit zu einer schalen "drei plus". 

Heute droht also einem verreißenden Publikum der mediale Verriß, sofern der zunächst verrissene zu irgendeiner Minderheit gehört. Und dies besonders wenn, die Spekulation sei erlaubt, das Publikum in seiner Mehrheit aus älteren, weißen, privilegierten, heterosexuellen Menschen bestanden hat und erst recht dann, wenn dem Ort des Geschehens gegenwärtig noch eine gewisse, aus Sicht mancher Medienvertreter mutmaßlich zu neutralisierende, Symbolträchtigkeit innewohnt.

Zu solcherart Publikumsbeschimpfung zu schreiten erscheint dabei jedenfalls mehr als billig. Eher sollte sich der Konzertveranstalter einmal fragen, ob man mit dem wirklich ausgefallenen Programm des vergangenen Sonntags ein in künstlerischen Fragen traditionell eher konservatives Abonnementpublikum nicht vielleicht überfordert hat? Offenbar hat die (immerhin zahlende) Zuhörerschaft in großen Teilen schlicht andere Erwartungen an den Konzertabend gehabt und war mit dem Gelieferten unzufrieden.

Mir selbst hätte das Programm dieses Abends im übrigen sehr gefallen, und das ist aus meiner Sicht das einzig kritikwürdige an den lauten Unmutsäußerungen des Kölner Publikums: sie haben auch denjenigen den Abend verdorben, denen er ansonsten gefallen hätte. 


Aber zu solch zwischenmenschlichen Einfachheiten findet sich in der politisiert-kakophonen Berichterstattung freilich kein Ton.

Andreas Döding


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