8. April 2016

Volksmißstimmung

Die Niederlande haben abgestimmt und sich mit Mehrheit gegen das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ausgeprochen. Nun ja, diese "Mehrheit" bestand angesichts der niedrigen Beteiligung eigentlich nur aus 18% - aber das Quorum wurde erreicht und das Ergebnis ist daher demokratisch gültig. Wenn auch nicht bindend, die Abstimmung hatte rein konsultativen Charakter.

Für die Einen ist das nun ein entscheidender Sieg "der Bürger" gegen das pöse Monster in Brüssel. Für die Anderen ist das ein Beleg, daß Volksabstimmungen dem unmündigen Bürger lieber nicht zugemutet werden sollten.

Nüchtern betrachtet ist die aktuelle Abstimmung in unserem Nachbarstaat aber nur ein typisches Beispiel dafür, wie man direkte Demokratie bestimmt nicht organisieren sollte.
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Denn erstens sind solche Abstimmungen in den Niederlanden nicht konstruktiv in den normalen Politikprozeß eingebunden, wie das z. B. im Musterland der direkten Demokratie - der Schweiz - der Fall ist. Volksabstimmungen sind ein extrem seltenes Ereignis (die letzte war 2005) und schlagen völlig erratisch auf. Was dann fast zwangsläufig dazu führt, daß sie mit allen möglichen Stimmungen und Themen überladen werden - abgestimmt wird nicht wirklich über das eigentliche Sachthema, sondern über allgemeine Stimmungslagen im "Denkzettel"-Verfahren. Es ist im konkreten Fall eher unwahrscheinlich, daß eine Mehrheit der Niederländer wirklich der Argumentation der Putin-Trolle folgt, die die "Nein-Kampagne" wesentlich organisiert haben. Viel mehr hat sich allgemeiner EU-Frust entladen. Das Abstimmungsergebnis hat wohl deutlich mehr mit Euro-Krise und Flüchtlingen zu tun als mit Außenpolitik.

Zweitens ist es fast destruktiv zu nennen, wie eine solche Abstimung ans Ende eines komplexen politischen Prozesses gesetzt werden kann. Sinnvoll wäre es, zuerst darüber abzustimmen, ob eine Regierung ein bestimmtes Ziel umsetzen soll. "Mit der Ukraine oder dagegen?" ist eine Frage, die grundsätzlich und zum Start zu klären ist. Und Abkommen sollten nur dann ausgehandelt werden, wenn das Volk dies auch will.
So aber gab es zuerst einen komplexen Verhandlungsprozeß - und dann kurz vor dem erfolgreichen Abschluß den maximalen diplomatischen Flurschaden.
Dazu noch in der verschärften Variante einer "konsultativen" Abstimmung. D.h. das Ergebnis ist nur eine unverbindliche Meinungsäußerung ohne Entscheidungscharakter. Die niederländische Regierung hat jetzt nur noch die Wahl zwischen der innenpolitischen und der außenpolitischen Katastrophe.

Und drittens muß eine Abstimmung natürlich auf der Ebene stattfinden, auf der auch entschieden wird. Da es hier um einen europäischen Vertrag ging, kann eigentlich nur eine europaweite Volksabstimmung legitim sein. Notfalls (wie in der Schweiz) mit einer Mischung aus reiner Stimmenmehrheit und Mehrheit von Staaten, um dem föderalen Prinzip Rechnung zu tragen.
Aber es kann wirklich nicht sein, daß ein einzelner EU-Staat (und nur der!) über die komplette EU-Außenpolitik entscheidet. Auch eine deutsche Außenpolitik wäre unmöglich, wenn jeder Landkreis ein Vetorecht hätte ...

Es ist ziemlich egal, wie man inhaltlich zur Frage der Ukraine-Assoziierung steht. Das NL-Plebiszit ist so fehlerhaft und murksig, daß es für das weitere Vorgehen ignoriert werden sollte.

Und für die Zukunft sollte es endlich eine sauber konstruierte Möglichkeit der direkten Demokratie geben. Auch auf EU-Ebene, und mit einer klaren Abgrenzung, wann und mit welchen Mitteln EU-weite Abstimmungen möglich oder nötig sein sollen.

R.A.

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