26. Juni 2016

Das hässliche Gesicht von Europa

Den bisher intelligentesten Satz zum Brexit hat Donald Tusk vorgestern von sich gegeben: Man solle jetzt nicht hysterisch werden. Eigentlich ein sehr vernünftiger Satz, der nach kurzem Nachdenken gar nicht unbedingt zu seinem Urheber passen möchte, nichtsdestotrotz wäre er sicher eine gute Leitlinie für den Tag gewesen. Nur wäre es eben auch nicht genau jene EU, die die Briten nun gerne verlassen würden, wenn sie der Vernunft ein besonderes Vorrecht einräumen würde. Eher im Gegenteil muss man den Eindruck bekommen, dass vorgestern ein inoffizieller Wettbewerb abgelaufen ist, wer sich am schrillsten zum Thema zu äussern wusste.
Die erste Perle des Tages fiel dabei Elmar Brok, seines Zeichens dienstältester EU-Parlamentarier, zu. Nicht nur erklärte er, dass er dass er das (im Unterschied zu Börsen, Politik, Buchmachern und Meinungsforschern) alles vorher gewusst hat, nein, er erklärte uns auch gleich, dass die Briten jetzt nur noch eine "mittlere, isolierte Insel im Atlantik" seien und zudem, dass der Grund für den Brexit eigentlich nur daran liegt, dass dort ein Volk von Rassisten gewählt hat. Das muss man erst einmal verdauen.
Nicht kurz danach meinte auch Christian Lindner, vermutlich aufgrund der derzeitig hohen Bedeutung der FDP in Sachen Europa, erklären zu müssen, dass die EU den Briten jetzt auf keinen Fall "irgendetwas" schenken dürfe (was auch niemand gefordert hat, aber man kann ja mal drauf hauen, außerdem sind alle Geschenke derzeit für den Bosperus reserviert). Sein Parteifreund Lambsdorff verkündete dann per Interview nicht nur das die britischen Parlamentarier jetzt weinen würden, nein, er stellte auch fest, dass die Briten ohnehin ja nie so richtig Teil von Europa waren und man ohne sie jetzt auch besser Entscheidungen treffen könne (wenn die FDP sich demnächst fragt, warum sie inzwischen auf Platz 6 im deutschen Parteiensystem steht, kann in solchen Figuren sicher einen Grund finden).
Martin Schulze, seines Zeichens EU Obermoff, konnte da natürlich nicht zurückstehen und musste ein Zeichen setzen, wer gefälligst immer noch das Recht hat am lautesten zu pöbeln: Er stellte fest, dass man daran arbeite nicht darauf zu warten, dass die Briten jetzt austräten, sondern man könne ja auch durchaus versuchen die Briten vorher rauszuschmeißen (erinnert frappierend an den frustrierten Ehemann, der seiner Frau hinterher brüllt: "Du verlässt mich nicht, ich schmeiß Dich raus".) 
All diesen Experten (und diversen mehr, die man kaum alle aufzählen kann), ist eines wohl gemeinsam: Sie sind furchtbar beleidigt. Was erlaube England ? Wie kann man es auch nur wagen zu denken, dass diese tolle Beglückung EU, deren Vorteil für jedermann auf der Welt doch sofort ins Auge fällt, von jemandem nicht erkannt wird ? Wie kann es sein, dass jemand bei "uns" nicht mehr mitmachen will ? In der Vorstellungswelt der Eurokraten, insbesondere der deutschen dieser Zunft, ist es einfach nicht vorstellbar, dass jemand in diesem Club nicht mehr Mitglied sein möchte. Es fehlte eigentlich nur noch ein anderer berühmter Satz eines sich selbst historisch wichtig nehmenden Politikers: Man weine ihnen keine Träne nach. Auch dieser Mann konnte nicht verstehen, dass jemand nicht mehr Teil des Paradieses sein wollte.
Das schlimme daran ist, dass durch die beleidigten Leberwürste jetzt auch genau der Schaden eintreten könnte, den Wirtschaft und Presse nun seit Monaten verkünden. Bei Licht betrachtet wäre der Brexit weder für die EU noch für die Briten besonders problematisch. China handelt gigantische Warenmengen mit der EU und dafür ist nicht eine Angleichung oder eine gemeinsame Verordnung erforderlich. China muss halt (im umgekehrten Falle genauso) die europäischen Normen erfüllen, wenn es Waren in die EU exportiert. Es ist kaum davon auszugehen, dass Großbritannien das nicht könnte. Auch europäische, vor allem deutsche Hersteller, haben bei ihrem Export kein Problem damit die dann neuen britischen Nomen zu akzeptieren. Die weltweiten Regulatorien sind ohnehin in den letzten 30 Jahren stark angeglichen worden.
Das große Problem ist eher das Denken der oben benannten beleidigten Leberwürste, was sich ziemlich gut ausdrücken lässt mit: "Und willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag ich Dir den Schädel ein." Es ist leider wirklich zu befürchten das Schulz und seine Mitstreiter in den kommenden Monaten alles versuchen werden, um den Briten so massiv zu schaden, wie es nur geht. Unter völliger Ignoranz, dass das auch den einzelnen EU Ländern massiv schaden wird. Dabei muss man klar sagen: Dieser Schaden geht nicht auf die Briten zurück. Wenn Deutschland, was ein sehr enger Handelspartner der Briten ist, demnächst also diverse Ausfuhrmilliarden verliert, liegt das kaum daran, dass die Briten kein Interesse mehr an deutschen Autos, Maschinen oder sonstigen Waren hätte. Es liegt daran, dass Martin Schulz, Elmar Brok & Jean-Claude Juncker es nicht ertragen können und wollen, dass jemand nicht in ihrem Club mitspielt.
Ein weiteres Problem mag darin bestehen, dass diese Art von Kanonenboot-Politik nicht zuletzt darauf gemünzt ist, anderen von vorneherein die Lust darauf zu nehmen, auch nur über einen Abschied nachzudenken. So wie auch die osteuropäischen Staaten vor einigen Monaten sehr deutlich auf Linie gezwungen werden sollten, so soll auch den anderen "Kandidaten" klar gemacht werden, zu welcher Wut die zurückgewiesene Dame EU in der Lage ist.

Wenn ich mir an der Stelle einmal erlaube das größere Bild zu sehen, auch und gerade unter dem Gesichtspunkt, wie sich die EU gegenüber der Schweiz verhalten hat, als diese eben keine Neubürger nach Gusto der EU aufnehmen wollte, kann man sich nur erschrecken was für ein Bild die angeblich so friedliche und fortschrittliche Gemeinschaft derzeit bietet. Es ist das Bild einer rachsüchtigen, alten Vettel, die weder Zurückweisung ertragen kann, noch in der Lage ist den Nachbarn hinzunehmen, der nicht nach ihren Regeln lebt. Man fragt sich was erst möglich wäre, wenn wirklich jemand dumm genug wäre, solchen Figuren Waffen in die Hand zu geben. Eine europäische Armee, so sinnvoll diese anmutet, in den Händen solcher Leuten wäre eine absolute Albtraumvorstellung. Es sind "Volksvertreter", die zu einem guten Teil nicht einmal gewählt sind, die Demokratie verachten und alle Allüren zeigen, die einer Diktatur entsprechen. Die Referenden grundsätzlich ablehnen, weil der gemeine Bürger das Gute ja nicht versteht, was die EU darstellt. Es ist erschreckend. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich denke, dass die Briten durchaus einen gewaltigen Preis für den Austritt zahlen werden. Aber ich bekomme zunehmend den Eindruck, dass der Preis im Vergleich zur Alternative ein gut angelegter ist. Die Vorstellung von Schulz & Juncker regiert zu werden ist fast noch schlimmer als von Merkel. Wenn es in diesen Tagen etwas schlimmes gibt, was einem passieren kann, ist es, von einem "überzeugten Europäer" regiert zu werden. Fürwahr: Europa ist seit gestern wieder ein Stück hässlich geworden. Oder es war schon lange so hässlich und es hat einen unter die Maske schauen lassen.


Llarian

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