31. Oktober 2016

Happy Reformation

Jedes Jahr wieder führen Strenggläubige den Kreuzzug gegen die Halloween-Unsitte. Zum Beispiel mit einem Aufkleber: "Ich bin evangelisch", steht da drauf, und "ich feiere am 31. Oktober den Reformationstag". Und damit klar ist, was nicht gefeiert werden darf ist zentral eine Gruppe verkleideter Kinder abgebildet, mit rotem Verbotszeichen darüber.

Das kommt rüber wie "Ich bin evangelisch, und bin deswegen ein intoleranter Spießer". Selber den Reformationstag zu feiern ist eine Sache. Aber weder in der Bibel noch bei Luther wird man Belege finden, daß man wegen Reformation den Kindern ihren Spaß nicht mehr gönnen darf.

30. Oktober 2016

Justitia. Schland im Herbst 2016

In dem diesem Blog beigeordneten Diskussionsforum, Zettels kleinem Zimmer, findet sich unter der Hausordnung der Forumsregeln an erster Stelle der Satz  "Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat." Der Endunterzeichner möchte hiermit ausdrücklich klarstellen, daß es sich beim Folgendem nicht um eine intendierte Verletzung der letzten Regel handeln soll, sondern nur um den Hinweis auf zwei konträr gelagerte Fälle, über deren unterschiedliche Gewichtung von Seiten der Jurisprudenz nachzudenken sich lohnen könnte. Auch aus diesem Grund wurde, bis auf einen einzigen Absatz, auf eigene Kommentierung verzichtet. Bei den folgenden Passagen handelt es sich ausschließlich um Zitate aus der Berichterstattung der Onlineportale diverser Zeitungen, die hier - ausnahmsweise - in längerer Form zum Zweck der Dokumentation des Facetten beider Fälle wiedergegeben sein sollen..

Daß der Rechtsstaat in diesem Land, bei allen Friktionen und scheinbarer Schieflage, durchaus funktioniert, ergibt sich aus der Tatsache, daß im ersten Fall das erstinstanzlich ergangene Urteil  durch die übergeordnete Instanz aufgehoben wurde; im zweiten die Anfechtung des Urteils angekündigt worden ist. Es scheint dem Verfasser allerdings wünschenswert, wenn es einer solchen nachgeordneten Klärung der Rechtsfindung nicht erst bedürfte.

27. Oktober 2016

Was erlaube Pöbel ? Ein Gedankensplitter zu Polarisierung und dem Dagegen

Was haben Donald Trump, die AfD, Pegida, der Front Nationale und die UKIP gemeinsam? Ganz einfach, wird der geneigte Leser des neuen Süddeutschlandes aus der Pistole geschossen sagen können: Das sind alles ganz furchtbare Populisten, mit "kruden" Ansichten und dem Willen die Welt ins Chaos zu stürzen.

19. Oktober 2016

Moral und der Mob

Mit großer Werbeankündigung inszenierte die ARD das Theaterstück "Terror" und ließ die Zuschauer darüber abstimmen, ob der im Stück angeklagte Pilot dafür bestraft werden soll, daß er durch den Abschuß eines von Terroristen entführten Passagierflugzeugs die Menschen eines Fußballstadions rettete. Verkürzt gesagt und einige unrealistische Nebenannahmen ignorierend ging es um die Frage, ob man den Tod einer kleinen Anzahl von Menschen in Kauf nehmen darf, um eine viel größere Anzahl von Menschen zu retten. Ein schwieriges moralisches Dilemma.

Den besonderen Spin erhielt die Inszenierung durch die Verknüpfung mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ein Gesetz zu einem solchen Abschußbefehl als verfassungswidrig verworfen hatte. Der Staat dürfe nach Gerichtsmeinung nicht zwischen den Menschenrechten der kleineren und der größeren Anzahl abwägen. Was im Stück verkürzt wurde zur Behauptung, die Handlung des Piloten wäre grundgesetzwidrig.

Wie zu erwarten stimmte aber der überwiegende Teil des Publikums dafür, den Piloten nicht zu bestrafen. Womit dann für viele Journalisten die Frontstellung klar war: Die breite Mehrheit des Volkes stellt sich gegen das Grundgesetz. Die FR geht in typisch linker Verachtung für die Normalbürger so weit, die Abstimmenden als "Mob" zu beschimpfen. Der allgemeine Tenor: Es wäre falsch, daß die ARD überhaupt so eine Abstimmung zugelassen hätte. Man könne die Rechtsprechung nicht den Bürgern überlassen. Und einige Kommentatoren zogen dann gleich die Linie weiter und nahmen die Sendung als Beleg, daß damit auch Volksabstimmungen in der Politik nicht vernünftig wären.

So weit, so falsch.

18. Oktober 2016

神舟十一号 / Shenzhou 11



Wenn man den Zeittakt noch im Ohr hat, mit dem vor einem halben Jahrhundert der erste "Wettlauf ins All" zwischen den USA und der weiland Union der Vereinten Sowjetrepubliken, der mit dem "kleinen Schritt für einen Menschen" im Mare Tranquillitatis seinen Abschluß fand, in Szene gesetzt wurde, kann man nicht umhin, einen Kontrast zu den gegenwärtigen Verhältnissen festzustellen, wie er größer nicht sein könnte, und ihn sich in jeden sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts selbst eingefleischte Pessimisten nicht hätten träumen lassen. Das gilt freilich nicht nur für die Raumfahrt - die die Idee des Aufbruchs, des Überwinden bisher eisen gesetzt geglaubter Grenzen freilich wie keine andere Technologie verkörperte - sondern auch für den Rest der technologischen befeuerten Visionen, die die Entgrenzung der Beschränkungen der menschlichen Möglichkeiten nicht nur denkbar, sondern als unausweichlich erscheinen ließen. Die Künstliche Intelligenz (in ihrer sogenannten "starken Form", mit Intentionalität, Verstehen eines Kontextes, innerer Reflexion) ist heute so weit von ihrer Realisierung entfernt wie zu der Zeit, als Marvin Minsky vor genau einem halben Jahrhundert die Visionen für die noch weit entfernt liegende Jahrtausendwende entwarf, die dann in HAL 9000 in Stanley Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum" Gestalt gewannen. Die Biotechnologie, oft in den letzten sechzig Jahren als die entscheidende Kunstfertigkeit, τέχνη, ausgerufen, die im 21. Jahrhundert die Physik als Leitwissenschaft ablösen sollte, hat mitnichten chimärische Zwitterwesen erzeugt noch zu einer Panazee gegen jedwedes Leiden oder, negativer, einem gensequentierten Sozialdarwinismus geführt (wie die Albträume der Science Fiction von Brave New World bis GATTACA das in ermüdender Unablässigkeit ausgemalt haben), sondern ersetzt immer noch einzelne Gene mithilfe viraler RNS-Scheren - ein Verfahren, an dem sich in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten seit der Einführung der DNS-Rekombination nichts wesentliches geändert hat. (Wers nicht glaubt, der mache sich klar, daß die Geburt von Dolly dem Klonschaf am schottischen Roslin Institute in drei Monaten volle zwei Jahrzehnte in der Vergangenheit zurückliegt.) Die letzte Utopie in dieser Reihung, die Nanotechnologie, vor genau dreißig Jahren von K. Eric Drexler in seinem Buch "Engines of Creation" als alle Bereiche des Lebens revolutionierendes Atom-für-Atom Baukastenprinzip ausgemalt, ist heute so weit von der auch nur ansatzweisen Blaupause für einen Molekular-Assembler entfernt wie 1986. Die Befürchtungen für das Überflüssigwerden der Humanagenten, wie sie etwa Ray Kurzweil vor 17 Jahren in seinem Buch Homo S@piens umtrieben, dürften auch für etliche künftige Generationen bruchlos alle 20 Jahre neu ausgegraben und weitere 20 Jahre in die Zukunft projiziert werden, ohne Gefahr zu laufen, von der eingetretenen Wirklichkeit ad absurdum geführt zu werden.   

14. Oktober 2016

His Bobness




"It’s night time in the big city
Rain is falling, fog rolls in from the waterfront
A night shift nurse smokes the last cigarette in a pack"
(Theme Time Radio Hour, Ep. 1: "Weather")

I
Manche Dinge erfährt man als Internetizen zuerst durch die spontanen Reaktionen anderer Netzbürger. In diesem Fall durch einen heute mittag um 13:10 auf einem anderen Forum getätigten #aufschrei:

Bitte was? Ich habe mich gerade erstickungsreif verschluckt. Die Infantilisierung des Westens kennt keine Gnade.

Recht hatte der anonyme Kommentator.

II
Bob Dylan wurde am 24. Mai 1941 als Robert Zimmerman in Duluth, Minnesota geboren. Im August 1962 änderte er gerichtlich seinen Namen in Robert Dylan. Vom März 1962 bis zum Mai 2016 veröffentlichte er insgesamt 37 Studienalben und eine kleine Anzahl von Livemitschnitten, die von einer umso größeren Menge hal- und illegaler "Bootlegs" flankiert werden. Die Anzahl der von ihm geschriebenen Songs dürfte zwischen vier- und fünfhundert liegen (USA Today ist im vorigen November auf die Zahl von 359 gekommen), Im Oktober 2016 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

7. Oktober 2016

Alles freiwillig

Manche meinen, wir hätten derzeit das intellektuell schwächste Bundeskabinett seit Gründung der Republik. Das kann man in einigen Fällen bestreiten, aber daß "Justiz"-Minister Maas dieses Niveau nicht hebt hat er schon häufiger bewiesen.

Und tut dies aktuell wieder mit einem Ausspruch den er für so gut hält, daß er ihn auch über SPD-Twitter verbreiten läßt:
„Die Milliarden für die Integration wurden in diesem Land erwirtschaftet und wurden niemanden weggenommen.“

Er hätte recht wenn er damit darauf hinweisen wollte, daß die in Deutschland (unter anderem für Integration) ausgegebenen Steuermilliarden nicht durch Raubzug der Bundeswehr in fremden Ländern erbeutet wurden, sondern im Lande selber produziert wurden. Ginge ja auch gar nicht - beim aktuellen Zustand der Bundeswehr käme da maximal Liechtenstein als Beutobjekt in Frage, und das würden die Schweizer schon mit der Miliz von Sankt Gallen verhindern.

Er hätte auch recht, wenn die im deutschen Staatsbesitz befindlichen Unternehmen ausreichend Gewinne erwirtschaften würden, um den Staatshaushalt zu finanzieren. Ginge aber auch nicht - da geht es eher die Frage, wieviele Zuschüsse Bahn und Co. aus dem Steuersäckel benötigen.

Nein, er glaubt offenbar, daß alles was die Bürger in Deutschland erwirtschaften legitimerweise dem Staat zusteht. Der Ertrag ihrer Arbeit wird ihnen nicht "weggenommen", sondern das mit dem Steuerabführen passiert in seinen Augen alles freiwillig.

Ich werde das mal bei meiner nächsten Steuererklärung aufgreifen. Das Finanzamt wird doch bestimmt nicht wagen, dem "Justiz"-Minister zu widersprechen. Und wenn die mir nichts mehr wegnehmen, dann würde ich gerne freiwillig etwas spenden. Aber eher nicht für die Sachen, die sich Herr Maas so vorstellt.

4. Oktober 2016

An alle

Ich
bin nur der Staat.
Aber
das Volk ist das Volk.

Alle sind das Volk.
Nichts hat sich
geändert:
Wir sind wir alle.

Wir gehören zu uns.
Auch
die Rechten gehören zu uns.
Wie wollen Sie die aufhalten?
Können Sie nicht.
Wie und woher
kommen wir bloß?

Wer ein Problem hat,
soll zurecht
Vorschläge machen,
sich aber überlegen,
wie er es nutzt.
Das ist
gelebte Demokratie.

Rückführung
ist Rückführung.
Aber freundlich.
Mein Land ist nämlich
mein Land.
Auch wenn's mir leid tut.

Brexit ist Brexit.
Ungarn
erwähne ich ungern.
Kurz nur kurz.
Europa heißt Frieden.
Der Euro scheitert am Euro.

"Brücken bauen" heißt
natürlich auch
Brücken bauen.
Wir bauen die Zukunft.
Ich finde das
schön.
Ein Riesenerfolg!

Fakten sind Fakten.
Gefühle sind ebenfalls
Fakten.
Sie sind nunmal da.
Auch das
mussten wir lernen.

Wir schaffen's auf Sicht.
Indem wir Höchstes leisten,
wie immer.

Absolut richtig.

Kallias

© Kallias. Für Kommentare bitte hier klicken.

3. Oktober 2016

Zum 3. Oktober: Heiße Luft über den Stammtischen

In diesem Blog hat der Kollege Andreas Döding vor kurzem erläutert, warum ihm am 3. Oktober nicht so recht zum Feiern zumute ist. Sein Argument, dass der Staat an diesem Tag sich selbst und nicht seine Bürger in den Vordergrund stellt, halte ich für schlüssig.

Nicht so recht in Feststimmung scheint auch Adrian Lobe zu geraten, der in einem auf ZEIT-Online erschienenen Beitrag mit dem Titel "Fremd im eigenen Land" das schwierige Verhältnis der Deutschen zu ihrem Nationalfeiertag und dem Konzept der Nation mit zwei großen inländischen Volksfesten thematisch in Verbindung bringt, nämlich mit dem Münchner Oktoberfest und dem Cannstatter Wasen.

Die Idee ist an und für sich nicht schlecht: In der Tat bietet sich vorderhand nichts so sehr als Symbol für das Klischeedeutschtum an wie das Bierzelt, dieser Hort alkoholgeschwängerten Frohsinns. Doch leider hält Lobes Artikel nicht das, was die ersten Zeilen versprechen. Im Gegenteil: Je mehr sich der Autor über teutonische Stereotype in Rage schreibt, umso mehr erliegt er selbst den hanebüchensten publizistischen Gemeinplätzen.

2. Oktober 2016

Gedanken zur sogenannten postfaktischen Politik

Die Bundeskanzlerin spricht davon, dass sie diejenigen, die "Merkel muss weg" schrien, mit Fakten nicht erreichen könne und äußert andernorts, es heiße, "wir lebten in postfaktischen Zeiten." Dies bedeute, dass es nicht mehr um Fakten gehe, sondern "die Menschen [...] allein den Gefühlen" folgten. In der letzten September-Ausgabe von Anne Will wurde über das Thema "Emotionen statt Fakten - Warum ist Trump so erfolgreich?" diskutiert. Der tendenziöse Titel der Talksendung mag schon erahnen lassen, dass sich ein Betrachten der 60-minütigen Debatte nicht wirklich lohnt. Nach Ansicht des Verfassers genügt die Lektüre von Frank Lübberdings auf faz.net erschienener Kritik, um sich ein Bild von der Konversationsveranstaltung zu machen.

Was die höchsten Kreise der Politik und des beitragsfinanzierten Infotainments mit dieser Themensetzung aussagen möchten, scheint klar zu sein: Es findet eine Art asymmetrischer Kampf zwischen den auf Faktenbasis argumentierenden Vertretern der etablierten Parteien und den frei phantasierenden Rechtspopulisten statt, mit einem evidenten methodischen Vorteil für die Letzteren.