27. November 2016

Kein Nachruf

Fidel Castro ist also tot.



Man könnte es am besten bei der schlichten Wiederholung dieser guten, viel zu lange erwarteten Nachricht belassen, und den erlösten Jubel den kubanischen Exilanten im Süden der Vereinigten Staaten, in Lateinamerika und des Rest der spanisch sprechenden Welt überlassen. Mit dem Hinweis, daß der Abtritt dieses Symbols für westliche "Revolutionsromantik", für den geistigen Offenbarungseid der europäischen und amerikanischen Eliten, natürlich um 55 oder 60 Jahre zu spät kommt. Wäre er - und mit ihm der Spuk des kubanischen.Sozialismus - vor der Andienung an die Sowjetunion und die dadurch ermöglichte Kuba-Krise vom Oktober 1962 - zu einer Fußnote der Geschichte geworden, dann wären die Versuche und Hoffnungen, sozialistische Systeme während der nächsten Jahrzehnte in Lateinamerika zu installieren, von Allende über Nicaragua bis hin zu venezolanischen Chavismus, womöglich unterblieben. Und wäre er nie mit 82 Spießgesellen mit der Yacht "Granma" von Mexiko in Richtung der Sierra Maestra aufgebrochen -vor genau 60 Jahren, am 25. November 1956 -  oder auf dem Meer gescheitert, wie es so vielen Tausenden Kubanern  in den Jahrzehnten seiner Diktatur widerfahren ist, dann wäre auch der Insel dieses Joch erspart geblieben und die wiederholte Bestätigung der Erfahrung, daß der Sozialismus, gleich in welcher Ausformung, genau jener Zustände hervorbringt und potenziert, zu deren Beseitigung er nach eigenem Bekennen angetreten ist: jene Armut, Dürftigkeit, Unmündigkeit, politische Willkür, und die Knechtung durch eine zynische Herrschaftsclique.

Zu den - vorgeblichen oder tatsächlichen - Krokodilstränen unserer westlichen Eliten (oder sollte man mittlerweile "Führungskader" sagen?) gibt es nicht den geringsten Grund. Wenn sich darin etwas zeigt, dann, daß sie auch über ein Vierteljahrhundert nach dem Zuschandenwerden des östlichen Kasernensozialismus nichts aus der Geschichte gelernt haben. Oder aus ihr lernen wollten. Und wer, wie etwa Amnesty International, bei ihrem so erwartbar wie durchgängig schief gewichtetes audiatur et altera pars "Die Errungenschaften der kubanischen Revolution waren von Menschenrechtsverletzungen überschattet" sollte erst einmal darlegen, worin diese vermeintlichen Segnungen denen überlegen sind, die während des gleichen Zeitraums die westliche, freie Welt mit Hilfe ihres kapitalistischen, egoistischen, ziellosen und vermeintlich umweltvernichtenden Kapitalismus in Gestalt von Sozialstaat, Eigeninitiative, freier Lehre und seelenlosem Konsumismus ins Werk gesetzt hat.

Daß unseren sozialutopiesüchtigen Romantikern im Fall des Fortfalls während ihrer prägenden Phase in den sechziger und siebziger Jahren die "sambatanzende Revolution" als Projektionsfläche irgend etwas von ihrem Elan genommen worden wäre, darf man wohl ausschließen. Ihre Stichwortgeber fanden sie bekanntlich genauso wie in der Popart-Ikone des Mörders Ernesto "Che" Guevara in den massenmörderischen Exzessen der chinesischen Roten Garden, den sandinistischen Offizieren - sofern man dort nicht, wie etwa im Fall von Enver Hodschas Albanien oder dem Nordkorea Kim Il Sungs, auf jegliches Werben nach auen hin verzichtete und sich hermetisch vom Rest der Welt abschottete. Und nicht zuletzt in der oft wenig klammheimlichen Sympathie für den Terrorismus heimischer Provenienz, von der RAF bis zu den Brigate rosse. Wenn es nun scheint, als ob sich die "Führer der freien Welt", vom scheidenden amerikanischen Präsidenten Obama bis zum Oberhaupt der Katholischen Kirche, der sein geistiges Herkommen aus der "Befreiungstheologie" immer weniger verleugnen kann, in nachgerichteten Ergriffenheitsbezeugungen zu überbieten suchten, dann dürfte darin nicht zuletzt eine gehörige Portion Selbstbedauern um den naiven Idealismus liegen, der die Verhältnisse und die Sicht auf die Welt geprägt hat, aus der sie hervorgegangen sind. Und die Ahnung, daß hier ein letztes "Symbol", ein letzter "größter Führer" (denn nichts anderes bedeutet die Titulation maximo lider), dem alle verheerende Bilanz in der Wirklichkeit nichts anhaben kann, weil man sich entschlossen hat, in ihm ein Zeichen zu sehen, um sich den Glauben an die Möglichkeit des Utopischen als Kategorie des Politischen, zu erhalten, von der Bühne des Politischen abgeht. Was danach kam und kommt, ist entweder längst seines Nimbus beraubt  - die Geschäftsmarken in der Sparte Messias "Gorbi" und "Obama" haben ihre Aura bekanntlich längst eingebüßt (und es dürfte kein Zufall sein, daß von Beiden besonders lautstarke Klagerufe von den Wänden der medialen Echokammer des global village widerhallten) - oder hat diesen Nimbus niemals für sich beanspruchen können. Und wird es wohl auch niemals mehr.

Auch das darf man als gute Nachricht werten.




    



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Ulrich Elkmann

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