27. Januar 2017

Ich bin nicht wie ihr. Ein Gedankensplitter.

Kennen Sie Garzweiler, lieber Leser? Den Älteren mag es ein Begriff sein, den Jüngeren vermutlich eher weniger. Garzweiler war (oder ist) eine Ortschaft im west­liche Rheinland und musste in den achtziger Jahren dem gleichnamigen Braunkohletagebau weichen. Weichen bedeutet in diesem Fall, dass die ganze Ortschaft ins benachbarte Jüchen umgesiedelt wurde. Was wiederum sich erklärt, als das man den Dorfbewohnern ihren Grundbesitz nahm und ihnen neue Häuser in einigen Kilometern Entfernung baute. Da ich zu diesem Zeitpunkt noch auf der Schule war, hatte ich die Gelegenheit in einem Tagesausflug sowohl den Tagebau zu besichtigen als auch das anschließende "Neu-Garzweiler" zu besuchen. Meine liberale Seele war damals wohl noch zu unterentwickelt, aber ich weiß bis heute, dass der eigentliche Fakt, dass man den Leuten mit staatlichem Zwang im Namen des "Höheren Gutes" ihren Besitz enteignet hat, mich nicht so sehr angefochten hat. Aber was bis heute in Erinnerung blieb war die Ortschaft "Neu-Garzweiler". Denn sie war erschreckend.


Man musste den Eindruck haben, als habe ein Architekt fünf, maximal zehn verschiedene Hausentwürfe gezeichnet, und die Umzusiedelnden mussten sich für einen dieser Entwürfe entscheiden. Und jeder einzelne Entwurf wurde Dutzende Male umgesetzt. Es war ein Dorf aus der Retorte, es war eigentlich gar kein Dorf mehr, es war zumindest in meinen Augen steril und nicht wirklich am Leben. Das mag heute nach 25 Jahren anders sein (ich war lange nicht mehr da), aber dieser Eindruck ist hängen geblieben. Und da ich im ländlichen Bereich aufgewachsen bin, weiß ich ebenso wie Dörfer normalerweise aussehen. Wie es so ist, hatte ich neulich ein Erlebnis, dass mich genau daran erinnert hat. Ich kam durch Zufall durch ein Neubaugebiet in einer großen Stadt in Nordrheinwestfalen, es war eine Stadt mit gewaltigen Grundstückspreisen, aber auch deutlich gehobenem Durchschnittseinkommen, wer hier baut ist nicht unbedingt arm. Und für einen kurzen Moment war ich in Garzweiler. In Perfektion. Von den 20 Häusern, die da in einem Block standen, glich eins wie das Ei dem anderen. Die selbe Architektur, die selbe Verklinkerung, die selbe Farbe, die selben Ziegel, ja selbst Rasen und Zierbüsche, Garagentore und Zäune, alles gleich. Es war als hätte der Architekt von Garzweiler sein Geschäft noch verbessert und sich jetzt auf einen einzigen Entwurf beschränkt. Und dieses Haus wurde dort nun in Retorte wieder und wieder gebaut. Wenn die Baufortschritte nicht so unterschiedlich gewesen wären, ich hätte gewettet, es wäre auch die selbe Baufirma, die immer wieder genau das selbe Haus baut. Vielleicht ist dem sogar so, ich habe es so tief dann nicht recherchieren wollen. Die einzige Individualität, die ich erkennen konnte, waren unterschiedlich gefärbte Hausnummern und natürlich die Fahrzeuge, die sich vor den Häusern befanden (denn wer baut heute schon genügend Parkplätze auf seinem Grundstück, wenn ein Auto auch am Straßenrand stehen kann).
Ich kann es nicht beweisen, denn ich habe die Gebäude nicht betreten, aber ich würde auch zu einer Wette neigen, dass die Unterschiede in den Häusern marginal ausfallen dürften. Woher ich das weiss? Ich hatte vor auch nicht allzu langer Zeit die Gelegenheit eine große Hausausstellung zu besuchen, bei der sich über 20 Anbieter mit "verschiedenen" Häusern anboten. Verschieden deshalb, weil sich Details und Preise wohl unterschieden, aber nahezu 90% dieser Häuser waren innen extrem ähnlich. Von der offenen Küche, über die Auslegung der Zimmer selber, über das Fehlen des Kellers bis zum Energiedesign mit einer Luftwärmepumpe. Alles gleich. Und wenn ich Kollegen spreche, die gerade gebaut haben, dann ist das Bild identisch. Offene Küche, ca. 8 Zimmer, 150 qm, kein Keller, Luftwärmepumpe.
Um es direkt heraus zu sagen: Ich finde es rundheraus scheusslich. Ich lebe heute in einem Wohngebiet, dass vor mehr als 60 Jahren entstanden ist. Teilweise sind die Häuser auch über 100 Jahre alt. Hier gibt es Erker, Türme, Mansarddächer, Walmdächer, Flachdächer, Fachwerkhäuser, Klinker, verputzte Häuser, Häuser aus Beton, es gibt Häuser mit 3 Etagen, mit 5 Etagen, es gibt Nutzbauten und verspielte Geäude mit etlichen Verwinkelungen, es gibt Zäune, Mauern, Hecken, Tannen, Palmen und bestimmt noch Dutzende andere Attribute, die mir jetzt gerade nicht in den Sinn kommen. Es ist ziemlich bunt. Und ziemlich schön. Es ist sehr individuell und es entspricht dem, wie man eben früher mal gebaut hat. Jeder nach seiner Facon, so lange er nicht völlig aus der Reihe fällt. Heute ist so etwas zu bauen kaum noch denkbar. Denn heute haben wir ja Bauvorschriften, die so etwas verbieten. Entweder gibt der Bebauungsplan haarklein vor, was wie zu bauen ist (das geht bis zur Farbe der Dachziegel) oder es ist noch schlimmer und es ist die Rede von ortsüblicher Bebauung. Was alles und nichts heissen kann und damit der totale Quell von Problemen jedweder Art und Unsicherheit ist. Im Zweifelsfall baut man so, wie der Nachbar baut. Und zwar exakt(!) so. Einen Baustopp kann sich keiner leisten und ein Prüfungsverfahren beim Bauamt will auch niemand über mehrere Jahre abwickeln. Also lieber vorsichtig und bloss keine Besonderheiten. Die Energievorschriften tun ein übriges und erzwingen einen Standard, den sie eigentlich gar nicht vorgeben sollen, aber in der Praxis bewirken.
Und so bauen wir Wohnviertel aus der Retorte. Und das betrifft keinesfalls nur Einfamilienhäuser. Ganze Siedlungen von Mehrfamilienhäusern, Reihenhäusern, Doppelhäusern, entstehen genau nach dem selben Schema. Individualität genau null.
Und glauben Sie bitte nicht, dass es dadurch billiger wird, lieber Leser. Bauen ist teuer. Und zwar richtig teuer. Wer heute ein Einfamilienhaus bauen will, der zahlt ohne Grundstück ganz schnell 300.000 Euro dafür. Und zwar ohne Keller. Ein Haus in einem Vorort mit vernünftiger Fläche und einem Keller kostet schnell mehr als eine halbe Million(!). Ein bischen viel für einen Hausklon finde ich.
Damit will ich nicht einmal sagen, dass diese spezielle Klon so hässlich sein muss. Ich find Klinker praktisch, kann mich mit einer offenen Küche auch anfreunden und finde auch die Aufteilung der Räume naheliegend. Aber ich will auch einen Keller haben, will die Farbe meines Hauses bestimmen, möchte die Bäume pflanzen, die mir gefallen und will einen Spitzboden, der auch den Namen verdient. Ich will Erker, Türmchen, runde Fenster, eine Garage mit Dachgarten, ich will, wenn ich schon für ein Haus mein halbes Leben sparen muss, etwas ausdrücken was mir und vor allem mir gefällt. Und ich fände es auch schön, wenn meine Nachbarn das auch tun können. Wenn ich diese Klonsiedlungen sehe, dann sehe ich irgendwann nur noch Ameisen. Wir sollen möglichst gleich sein, das gleiche denken, das gleiche verdienen, die selben Ansprüche haben, die selbe Ästhetik schön finden und um Himmels willen es nicht ertragen, dass jemand anders ist.
Wenn ich durch Straßenzüge gehe, die vor 50 oder 70 Jahren entstanden sind (oder sogar noch älter sind), dann sehe ich viel Individualität. Klar, auch damals hat man keine vierstöckigen Appartmentblöcke neben Bungalows gebaut, aber die Häuser sind sehr verschieden. Wenn ich mir ansehe wie wir heute bauen kann ich nur sagen: Was ein Rückschritt! Wenn das der heutige deutsche Zeitgeist ist, bleibt mir nur zu sagen: Ich bin nicht wie ihr. Ich will das nicht.



Llarian

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