30. Mai 2017

Brauner Wind im Wasserglas

Das diesjährige Basistreffen der Grünen findet im Lutherjahr statt. Und wer sich mit dem großen Reformator näher beschäftigt hat weiß, daß er deftige und kontroverse Wortmeldungen bevorzugte.

Entsprechend schlägt auch die offizielle Lutherbotschafterin der EKD zu:
Zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern. Da weiß man, woher der braune Wind weht.

Und prompt kommt die Reaktion, in allen Internetforen rechts oder sehr weit rechts der Mitte wird das Zitat herumgereicht und wortreich Klage geführt, daß Kässmann alle "Biodeutschen" als Nazis verunglimpfen würde. Und Kolumnisten wie Broder schließen sich der Empörung an.

Aber: Stimmt das Zitat überhaupt?
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Die Hannover'sche Landeskirche bestätigt: Im Prinzip Ja:
Die Forderung der rechtspopulistischen Partei nach einer höheren Geburtenrate der "einheimischen" Bevölkerung entspreche dem "kleinen Arierparagrafen der Nationalsozialisten: Zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern. Da weiß man, woher der braune Wind wirklich weht", kritisierte die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unter tosendem Beifall.

Sie hat es also offenbar gesagt, aber der Kontext legt nahe, daß die Kritiker völlig falsch liegen. Käsmann zitiert das mit den Vorfahren als AfD-Position und bei der AfD sieht sie deswegen "braunen Wind".

Dann schauen wir uns doch mal den Kontext genauer an. Praktischerweise hat die EKD den kompletten Redetext Käsmanns verlinkt. Und da hört es sich wieder etwas anders an:
Im Wahlprogramm der AfD für dieses Jahr ist das sehr klar. Da heißt es: ... „Den demografischen Fehlentwicklungen in Deutschland muss entgegengewirkt werden. Die volkswirtschaftlich nicht tragfähige und konfliktträchtige Masseneinwanderung ist dafür kein geeignetes Mittel. Vielmehr muss mittels einer aktivierenden Familienpolitik eine höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung als mittel- und langfristig einzig tragfähige Lösung erreicht werden.“ Keine Frage mehr, jetzt ist es klar. Frauen sollen Kinder bekommen, wenn sie „biodeutsch“ sind. Das ist eine neue rechte Definition von einheimisch gemäß dem so genannten kleinen Arierparagraphen der Nationalsozialisten: zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern. So einfach klein und eng können selbst die Neonazis sich die Welt im Jahr 2017 nicht malen.

Zuerst einmal fällt auf: Der überall zitierte "braune Wind" kommt im Originaltext gar nicht vor. Wahrscheinlich hat Kässmann den spontan im mündlichen Vortrag eingefügt.
Und dann: Das zitierte AfD-Programm spricht nur von aktivierender Familienpolitik und mehr Geburten bei der "einheimischen" Bevölkerung. Und ist dabei kaum zu unterscheiden von gängigen Forderungen etablierter Bundestagsparteien - "einheimisch" sind ja auch Deutsche mit Migrationshintergrund.
Von den "zwei deutschen Eltern" etc. ist im ganzen AfD-Programm jedenfalls keine Rede. Kässmanns Anschuldigung von wegen "kleiner Arierparagraph" der Nazis ist daher wild aus der Luft gegriffen.

Genauer gesagt: Sie hat hier Zitate aus anderer Quelle untergemischt.
Laut Nordkurier hat nämlich der AfD-MdL Weber die inkriminierten Worte mit den deutschen Eltern auf Facebook veröffentlicht:
In einem Facebook-Eintrag fordert der Greifswalder Juraprofessor und AfD-Landtagsabgeordnete Ralph Weber, dass sich "'Biodeutsche' mit zwei deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern” dafür einsetzen, dass "unsere Heimat auch in 30 Jahren noch von einer deutschen Leitkultur geprägt und geformt wird".
Hier läßt sich nicht weiter nach Kontext forschen, denn der Facebook-Beitrag wurde inzwischen gelöscht. Glauben wir also dem Nordkurier, das ist immerhin das ehemalige Organ der Bezirksleitung Neubrandenburg der SED.
Der Nordkurier hat offenbar auch den Vergleich von Webers Abstammungsbeschreibung für "biodeutsch" mit dem Nazi-Arierparagraphen erfunden.

Was nun auch ziemlich fragwürdig ist. Wenn man über Zuwanderung reden will, dann muß man ja Begriffe für die Zugewanderten haben - und für die übrigen. Für die eine Gruppe gibt es inzwischen die offizielle Bezeichnung "mit Migrationshintergrund", und bei der Definition geht es selbstverständlich um die Nationalität der Eltern.
Schwerer tut sich der politisch-korrekte deutsche Sprachgebrauch mit der Bezeichnung der Gegengruppe. Ob man die nun mit Merkel "Menschen, die schon länger hier wohnen" nennt oder eben "Biodeutsche" - man wird letztlich bei der Definition nicht um die Tatsache herumkommen, daß die jeweiligen Eltern eben sehr wohl Deutsche waren. Wenn man das schon als "Nazi" denunziert, hat man schlicht kein brauchbares Vokabular mehr.

Wie auch immer. Die AfD muß zwar damit leben, daß ein offenbar schwieriger Typ wie Weber bei ihr Mitglied ist. Aber die inkriminierten Sätze können ihr nicht zugerechnet werden, sondern von denen hat sie sich sogar explizit und per Abmahnung distanziert.

Fazit der ganzen Affäre also:
Käsmann reißt Zitate aus dem Zusammenhang um in polemischer Überzeichnung die AfD zu verleumden.
Und dann reißen andere Leute Käsmanns Text aus dem Zusammenhang um sie in polemischer Überzeichnung zu verleumden.

Schon ein tolles Niveau allerorten.
Eigentlich müßte Zensurminister Maas gegen alle Beteiligten vorgehen.



Im übrigen: Für Masochisten mit etwas zu viel Zeit lohnt es sich, die komplette "Bibelarbeit" Kässmanns durchzulesen.
Es ist schon atemberaubend, wie sie überhaupt von einer ziemlich harmlosen Bibelstelle die Kurve zum angeblichen AfD-Programm schlägt. Auch andere Vergleiche sind relativ absurd, z. B. wie sie die Vorfreude einer werdenden Mutter auf ihr Kind mit "Willkommenskultur" gegenüber Flüchtlingen gleichsetzt.
Beim ganzen Text paßt die Bewertung: "Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben. Man muß auch unfähig sein, sie auszudrücken."
Wieder einmal zeigt sich, daß die EKD einen absoluten Fehlgriff gemacht hat - kaum jemand ist so weit weg von Luthers klarer und präziser Sprache und Argumentation wie die "Luther-Botschafterin".


R.A.

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