7. Juni 2017

Ist die Bewilligung von Horst Mahlers Auslieferung eine Meldung wert?


Wenn der Chefredakteur des „Hintertupfinger Kuriers“ die Schlagzeile „Heute kein Verkehrsunfall auf der Dorfstraße“ in seine Zeitung setzt, dann liegen zwei Interpretationen nahe: Entweder handelt es sich um einen sehr schlechten Journalisten, der einer Selbstverständlichkeit Nachrichtenwert beimisst. Dies wäre der Fall, wenn es auch in den vergangenen Wochen keinen Verkehrsunfall auf der Dorfstraße gegeben hätte. Bekanntermaßen ist „Hund beißt Mann“ keine Meldung, „Mann beißt Hund“ dagegen schon. Oder es verhält sich so, dass Unfälle auf der Dorfstraße die Regel und nicht die Ausnahme sind. Dann ist ein reibungsloser Verkehrsfluss auf der Hauptgasse des kleinen Ortes sehr wohl erwähnenswert.
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An den nicht stattgefundenen Verkehrsunfall auf der Dorfstraße in Hintertupfing musste der Verfasser dieser Zeilen denken, als er las, dass ein Budapester Gericht Horst Mahlers Auslieferung an Deutschland bewilligt hat. Ja, was denn sonst? Gegen den Mann liegt ein Europäischer Haftbefehl vor, weil Mahler in Deutschland noch eine Restfreiheitsstrafe wegen Volksverhetzung zu verbüßen hat. Das Institut des Europäischen Haftbefehls ist vom Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und der Nichteinmischung der politischen Ebene getragen.

Eine Prüfung der Strafbarkeit im Adressatenstaat ist ausgeschlossen, wenn der Europäische Haftbefehl eine sogenannte Katalogtat, zum Beispiel ein Delikt aus dem Bereich "Rassismus und Fremdenfeindlichkeit", betrifft, bei welchem das im Strafsatz angedrohte Höchstausmaß der Sanktion mindestens drei Jahre beträgt (so der etwas missverständliche Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten). Dies ist bei § 130 StGB der Fall. Eine Nachricht wäre es deshalb gewesen, wenn Ungarn die Auslieferung verweigert hätte.

Mahler ist gelernter Jurist. Er hätte damit rechnen müssen, dass seine Flucht nach Ungarn nicht das gewünschte Ergebnis des Schutzes vor der Strafvollstreckung in Deutschland zeitigt. Aber Mahler ist auch ein lupenreiner Ideologe, also jemand, der nicht das Modell der Realität, sondern die Realität dem Modell anpasst. Vielleicht hat er in Viktor Orbán einen Geistesverwandten gesehen. Dies ist aber reine Spekulation. Zum einen deshalb, weil für den enderunterfertigten Autor Mahlers Gedankenwelt nicht nachvollziehbar ist, zum anderen, weil ihm Viktor Orbán ein Rätsel geblieben ist. Aber eines lässt sich über den ungarischen Ministerpräsidenten zweifellos sagen: Er ist Politiker genug, dass er einem Gefecht, bei dem er nur verlieren kann, aus dem Weg geht.

Noricus

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