4. Januar 2018

They? Ein Gedankensplitter

Kennen Sie die die Serie Billions? Vermutlich eher weniger, in Deutschland ist sie bisher nicht wirklich gezeigt worden (außer man hat ein SkyAtlantic Abo) und auf Amazon kostet sie zwar kein Vermögen, aber doch schon etwas Geld. Für den Autor dieser Zeilen ist es allerdings Pflichtprogramm, seit Damien Lewis in Life wie auch in Homeland demonstriert hat, dass er ein extrem begabter Schauspieler ist, zumindest wenn er die Gelegenheit hat exzentrische Rollen zu spielen. Nun, in Billions kommt noch dazu, dass er von einer Reihe anderer, ebenso sehr begabter Kollegen flankiert wird, was die Serie, trotz ihrer nicht immer extrem glaubwürdigen Handlung, dennoch sehr reizvoll und unterhaltsam gestaltet. Einer dieser Kollegen in der akuten Staffel (das wäre die zwei) ist Asia Kate Dillion, die/der in der Serie einen interessanten Character vorstellt, wie man ihn bisher noch selten gesehen hat. Der Character ist die Figur Taylor Amber Mason, ein "nicht-binärer" Analyst der/die im Laufe der Staffel von einer Nebenfigur zu einem Hauptprotagonisten entwickelt wird.


Nicht nur der Character ist spannend, auch die Darstellung ist außerordentlich gut. Die ganze Kuriosität einer Person, die aus einem durch und durch linken Umfeld (vegan, "Rettet die Erde", etc.) in die reale Welt eines semikriminellen Hedge-Fonds geworfen wird, ist sehr gut eingefangen. Der eine oder andere Zuschauer, diesen Autor eingeschlossen, wird sich gefragt haben, welchem Geschlecht der Schauspieler, der diese Figure spielt, angehört, denn die beste Beschreibung die man für das Äußere noch abgeben würde wäre warscheinlich burschikos oder jungenhaft, aber immer mit einer Unsicherheit behaftet, was denn nun dahinter steckt. 
Ein Blick in die Wikipedia gibt eine überraschende Antwort: Keinem. An dieser Stelle ist es keine Schauspielerei, der oder die Darstellerin sieht sich auch im realen Leben als nicht binär und nur in einer Randnotiz wird klar, dass die Person weiblich geboren wurde. Es wird in der Wikipedia mehrfach (nahezu stolz) betont, dass es sich bei Asia Kate Dillion um die erste nicht-binäre Person handelt, die in einer Primetime Serie des amerikanischen Fernsehens eine Hauptrolle spielt (und dafür nebenbei auch noch einen Preis gewonnen hat).
Das wäre alles für sich nicht dramatisch, wer die Serie gesehen hat, der kann nachvollziehen, warum das Casting auf Dillon fiel, als auch das damit Preise gewonnen werden. Das Talent ist zweifelsfrei reichlich vorhanden.

Schwierig dagegen ist die Sprache damit umzugehen. Schon weiter oben kann man sehen wie schwer es ist die Problematik zu beschreiben. "Der oder die" ist eine Formulierung, die man nutzen kann, wenn ein Geschlecht nicht bekannt oder festgelegt ist ("der oder die Bäcker/-in"), allerdings ist es anstregend. Aber man will ja niemandem auf die Füße treten, weswegen man die sprachlich korrekte Bezeichnung ("sie") vermeidet. Noch schlimmer wird es allerdings wenn man die Wikipedia dann auch wirklich nachliest. Asia Dillion verlangt für sich das Pronomen "They", bzw. "their" und "them". Das ist mehr als anstregend zu lesen, es sei jedem empfohlen mal den Originalartikel zu lesen. Man holpert sich quer durch den Text, und das obschon dieser noch recht einfach gehalten hat und eine echte Verwechslung mit einer Gruppe nicht vorkommen kann. Sucht man anschließend noch in der IMDB nach, stellt man fest: Hier auch. Es taucht im Artikel kein "she" auf, nur "They". Auch hier ist das Lesen mehr als anstrengend.

Beschäftigt man sich noch ein bischen tiefer mit dem Thema, stellt man fest, dass in den USA nun schon seit einigen Jahren eine "alte" Sprachneukonstruktion Furore macht. Alt deshalb, weil die Konstruktion schon in 400 Jahre alten Texten zu finden ist, wenn auch bis Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts nie richtig populär. Das Stichwort lautet singuläres "They". In dieser Sprachkonstruktion wird es benutzt, um ein unbestimmtes Geschlecht auszudrücken und vielfach das umständlich "he or she" zu vermeiden (was durchaus auch aus praktischen Gründen nachvollziehbar sein kann, wenn man mal einen Text liest, indem "he or she" in jedem Satz zweimal auftaucht). Obwohl es grammatikalisch genau genommen falsch war, setzte sich mehr und mehr das singuläre They als eine Möglichkeit durch bestimmte Sachverhalte auszudrücken, ohne entweder eine "he or she" Konstruktion oder das generische "he" zu verwenden. Was zunächst eine Sprachvereinfachung darstellte wurde durch die letzten 10 bis 15 Jahre mehr und mehr zu einem Mittel zu "geschlechtergerechter" Sprache zu kommen. Oder anders gesagt: Es wurde politisch. Der Ausfluss "They" nun auch als direktes Pronomen zu verwenden ist dabei vergleichsweise neu, aber durchaus folgerichtig in der Idee durch Sprache politische Ideen zu forcieren. Das schlimme daran ist: Es schadet.

Manfred Rommel, der frühere Oberbürgermeister von Stuttgart, schrieb in einem Vowort zu einem eher lustigen Sachbuch mal sinngemäß das Folgende: Wir Deutschen neigen dazu eine Sache umso mehr zu verehren, umso weniger wir sie verstehen. Aber wir sind danach nicht klüger sondern dümmer weil verwirrter.
Nun ist es nicht unbedingt so, dass die neuen Sprachkonstruktionen unbedingt verehrt werden. Aber sie werden mehr und mehr durchgesetzt, bzw. es wird nichts dagegen unternommen, wenn einzelne Gruppen sie durchsetzen. Die Wikipedia ist nicht nur ein urlinkes Projekt, sie ist auch durch und durch links durchwirkt, insofern ist es nicht wirklich verwunderlich in welche Richtung es sich dort entwickelt. Das die IMDB davon auch durchzogen wird, ist zumindest neu. Aber auch an deutschen Unis finden sich inzschen die absurdesten Schreibweisen von Binnen-Is über den Profx zu den absurdesten Pronomen, die Gender-Gerechtigkeit machts möglich.

Jetzt kann (und muss) man damit leben, dass sich Sprache auch entwickelt. Inzwischen hat sich ja die eigentliche ebenso falsche Wortfigur von der Frau "Bundeskanzlerin" durchgesetzt. Der Titel ist genau genommen falsch und für den richtigen kann man dieser Tage auch schonmal das Rederecht entzogen bekommen, aber so ist das Leben und eben die Entwicklung. Das ist nichts dramatisches, denn hier wird die Sprache nicht unbedingt verkompliziert. Anders ist es bei den Binnenkonstruktionen und den neuen Pronomen, die eigentlich nichts anderes als Verwirrung stiften. In einigen, wenigen Einlassungen aus der Genderecke wird das ja auch als Zielvorstellung eingeräumt. Sprache soll dekonstruiert werden, um das Denken zu ändern. Aber genau hier setzt die Verwirrung ein und die Sprache verliert ihre wichtigste Aufgabe: Der klaren Übermittlung von Information (die ausgesprochen schöne Erklärung von John Keating, Sprache diene vor allem dazu  "Frauen zu umwerben" ist mir zwar sehr sympathisch, aber vermutlich politisch auch nicht mehr allzu korrekt). Sprache muss klar und verständlich sein. Sie muss von den meisten Leuten verstanden werden. Sie muss einfach genug sein, dass nahezu jeder sie benutzen kann. Genau das kann man von der gendergerechten Sprachpanscherei absolut nicht sagen. Oder anders ausgedrückt: Der Preis ist verdammt hoch. In Deutschland ist schon ohne solche Verkomplizierungen jeder 10. Bürger ein funktionaler Analphabet (ja, das hat auch was mit Einwanderung zu tun, ist aber hier nicht das Thema). Viele sind nicht in der Lage einen Genitiv vom Dativ zu unterscheiden. Die deutsche Sprache ist schon für sich schwer genug. Sie ist so schwer, dass man inzwischen Millionensummen für Übersetzungen in "einfache Sprache" ausgibt. In einer solchen Situation ist es nicht nur nicht sinnvoll im politischen Namen die Sprache zu erschweren, es ist auch in höchstem Maße asozial. Gendergerechte Sprache ist in erster Linie etwas für (empfundene, tatsächliche oder selbsternannte) Eliten, die viel zu abgehoben sind, um die Folgen ihrer Ideen für den Alltag zu begreifen, weil sie diesem Alltag einfach entrückt sind. Und der elitäre Gedanke die "richtige" Sprache sei dann eben für die "Eliten", während die einfache Sprache eben für den "Proleten" da sei, ist auch ein sehr beklemmender bis abstoßender Gedanke.

Und dennoch: Sollte man nicht Menschen wie eben Asia Kate Dillion zugestehen selbst zu entscheiden, wie sie bezeichnet werden möchten? Zumindest ist mir dieses Argument sehr oft begegnet. Die Anwort ist, auch wenn sie hart ausfällt: Nein. Das sollte man nicht. Denn niemand hat die Definitionshoheit darüber wie andere ihn oder sie sehen.  Ich habe keinerlei Zweifel daran, dass Menschen, die sich über ihre eigene, geschlechtliche oder auch nicht geschlechtliche Identität, unklar sind, sehr oft an diesem Zustand leiden. Es ist schwer, wenn man sich selber nicht einordnen kann oder will, während es andere soviel leichter haben in etablierten Bahnen zu schwimmen. Auch wenn es lange her ist, kann ich mich durchaus noch an den schmerzhaften Findungsprozess erinnern, den man in der Jugend durchmacht (oder zumindest einige durchmachen). Wer bin ich? Was will ich? Warum bin ich nicht anders? Die Vorstellung das nicht nur wenige Jahre sondern deutlich länger durchzumachen ist alles andere als angenehm. Ich habe zwei solche Leute kennen gelernt, und es war für mich offenkundigst wie sehr sie unter diesem Zustand gelitten haben. Aber so hart es ist: Dieser Zustand wird nicht gemildert in dem man sich selber eigene Dinge zuschreibt, die die Realität nicht wiedergeben. Man kann die eigene Wahrnehmung verändern, aber man kann nicht verändern wie einen andere wahrnehmen, ohne sich selbst zu ändern.
Genderneutrale Pronomen vorzuschreiben ist der Versuch anderen zu diktieren wie sie einen zu sehen haben. Eine absurde Idee. Die im schlimmsten Fall noch auf Resentiments hinaus läuft, weil die wenigstens Leute sich gerne diktieren lassen, was sie zu denken haben. Es ist der selbe Blödsinn wie aus einem Behinderten einen Herausgeforderten zu machen oder aus einem Schwarzen erst einen Farbigen und dann einen afrikanischen Amerikaner (oder wie der Blödsinn sonst gerade aktuell heisst). Nichts wurde dadurch besser, die Sprache wurde nur komplizierter und es wurden ein paar neue Triggerwörter implementiert, die einem erlauben den anderen moralisch zu verdammen.

Insofern ist es sicher politisch unkorrekt Asia Dillion als "she" zu bezeichnen, aber in der Sache richtig. Ich erkenne einen Menschen als Frau, so dieser vorwiegend weibliche Eigenschaften hat, angefangen vom Genom über den Körperbau und die sekundären Geschlechtsmerkmale, aber auch durch Verhalten und Auftritt. Das kann tatsächlich im Einzefall auch falsch sein (Linda Hunt gewann für ihre Rolle in "Ein Jahr in der Hölle" einen Oskar für eine Rolle, in der sie einen Mann spielt). Aber so ein Irrtum ist undramatisch und kann im Einzefall korrigiert werden. Er wird aber nicht dadurch korrigiert, dass jemand von sich behauptet(!) etwas anderes zu sein. Noch dazu etwas was in dieser Form nicht existiert. Ich kann mich auch selber definieren als jemanden der unglaublich intelligent ist und deshalb Anspruch auf die deutsche Studienförderung erheben. Allein, es wäre eher lächerlich. Jetzt mag man dem entgegenhalten, dass man objektiv beweisen kann, dass ich nicht so klug bin, wie ich meine. Dem würde ich aber entgegenhalten, dass man noch viel einfacher beweisen kann, welchem Geschlecht eine Person angehört (Der Beweis selbst sei dem Leser als Übung überlassen). Wer definieren kann welchem Geschlecht er angehören will, dem muss man auch zugestehen zu entscheiden wie intelligent, schlank, sportlich, groß oder stark er ist.

Dennoch werde ich am Ende diesen Disput natürlich verlieren. Gerade Hollywood sieht in Personen wie Asia Dillion die neue Avantgarde und wird das etablieren, genauso wie die Wikipedia, die Unis und am Ende auch die Schulen. Wir werden also den Preis zahlen unsere Sprache ein bischen mehr zu verschlechtern. Nun denn.

Zumindest ein Positives kann man daraus mitnehmen. Es macht Spass sich die Rollen anzusehen, die von Asia Dillion gespielt werden. Im Unterschied zu anderen Protagonisten der neuen Avantgarde, wie "Profx Lann Hornscheidt" (auch wohl weiblicher Hintergrund) ist sie zumindest deutlich sympathischer und mit Sicherheit besser zu verkaufen. Man wird von ihr (jetzt habe ich es doch einmal geschrieben)  sicher noch einiges hören.

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Llarian

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