20. Juli 2013

Mecker-Marginalie: Trau, schau, wem


Nicht nur die Medienzunft, auch die Musikindustrie wird alle Jahre wieder von einem Sommerloch geplagt. Beide Branchen reagieren auf die gähnende Leere mit der Verwertung zweitklassigen Materials. Bei den akustisch Kreativen wird das Lückenbüßerwerk „Sommerhit“ genannt: Es zeichnet sich durch einen – auch für Mainstream-Pop-Verhältnisse – ausgesucht einfältigen Text und lateinamerikanisch-karibische Tanzmelodien aus.

Nun wäre es eigentlich eine naheliegende Idee, beide Löcher auf einen Streich zu stopfen, nämlich indem man mit einem skandalösen Werk der Tonkunst nicht nur die schwach besetzten Charts, sondern auch die nur mühsam am Leben gehaltenen Nachrichten- und Kommentarspalten der Zeitungen stürmt.
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Solches mag ein deutscher Gangsta-Rapper im Sinn gehabt haben, als er jüngst sein neuestes Opus auf den Markt gebracht hat. Die Rede ist natürlich von Bushido und seinem gemeinsam mit Shindy rezitierten Sprechlied Stress ohne Grund, in dem nicht nur ein Kollege aus der Szene „gedisst“ wird (um es kongenial auszudrücken), sondern auch Gewaltphantasien und Todeswünsche gegen bekannte Politiker sowie genretypische negative Bezugnahmen auf Homosexualität geäußert werden. 

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat das Produkt mittlerweile indiziert und es damit gleichsam zu Bückware erklärt. Der in dem Lied erwähnte Klaus Wowereit hat Bushido angezeigt. Und ein seltsam anmutender Chor aus Heino, Innenminister Friedrich, Volker Beck und weiteren mehr oder weniger qualifizierten Stimmen fordert Konsequenzen für die Grenzüberschreitung.

Zugegeben: Besonders einfallsreich ist es nicht, über das Töten und über schwule Praktiken in einem Vokabular zu dichten, das vom Duden als „derb“ oder „vulgär“ bezeichnet wird. Allerdings gehört solches Wühlen im verbalen Giftschrank zur lex artis des Diskurstyps „Gangsta-Rap“. Anders formuliert: Wenn es einen Vorwurf zu erheben gilt, dann sollte er nicht an Bushido gerichtet werden, jedenfalls nicht nur, sondern auch an die Art Musik, die er betreibt.

Geradezu naiv erscheint vor diesem Hintergrund, was Fatma Aydemir in der TAZ verlautbart:
[Bushido] richtet sich ausgerechnet gegen jene Teile des Politikbetriebs, die selbst marginalisierte Gruppen repräsentieren: ein Migrant, eine Frau und ein Homosexueller. Der Sprung zum Nazirock ist von hier aus wirklich nicht mehr weit. 
Wo sie doch bereits am Anfang ihres Artikels Folgendes erkennt:
Das mit Rap, insbesondere mit Gangsta-Rap sozialisierte Publikum kriegt wegen Bushido sicherlich keine Mordgelüste gegen Claudia Roth, Klaus Wowereit oder Serkan Tören. Dieses Musikgenre, in dem metaphorisch andauernd irgendwer erschossen oder gef[...]t wird, zeichnet sich doch gerade durch seinen vehementen Widerstand gegen Political Correctness aus.
Wie soll man das nun verstehen: Menschen werden im Gangsta-Rap zwar nur metaphorisch ermordet, und die geneigte Zuhörerschaft nimmt dies auch exakt so wahr; dennoch, liebe politisch unkorrekte Verseschmiede: Richtet eure imaginären Waffen bitte nicht gegen die (angeblich) Benachteiligten dieser Gesellschaft? Wäre alles in Ordnung, wenn Bushido heterosexuelle Männer indigener Abstammung ins Visier genommen hätte?

Es scheint so, als ob einige Intervenienten in diesem Stück absurden Sommertheaters Bushido (metaphorisch) schlagen, aber eigentlich den Gangsta-Rap meinen. Warum nur traut sich niemand, das Kind beim Namen zu nennen? Vielleicht, weil die rhythmisch vorgetragenen Rüpeleien bei der Jugend en vogue sind beziehungsweise Herrschaften älteren Geburtsdatums dies annehmen? Möchte man sich in diesem Punkt wohltuend von den eigenen Eltern abheben, die – man verzeihe den seinerzeit gebräuchlichen Ausdruck – gegen die aus dem Kinderzimmer schallende „Negermusik“ vom Leder zogen? 

Dies umso mehr, als der Rap ja wirklich in den Schwarzenvierteln der amerikanischen Großstädte entstanden ist und hierzulande in nicht unbeträchtlicher Zahl von Menschen mit echtem oder gefühltem Zuwanderungshintergrund zum Besten gegeben wird?

Ist der jugendlich-coole, allochthone Underdog-Appeal dieser Art Musik der Grund dafür, dass sich Teile des Polit- und Info-Establishments vor gar nicht allzu langer Zeit noch bei dem scheinbar geläuterten Bushido angebiedert haben? Täuscht der Eindruck, dass Abgeordnete und Minister glauben, es sei für ihr Standing in der Bevölkerung wichtiger, sich mit angesagten Persönlichkeiten zu umgeben, als beispielsweise den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu begreifen oder den Strompreis nicht über Gebühr aufzublähen

Die vielleicht luzidesten Worte zu diesem erbärmlichen Spektakel hat Thomas Winkler - ausgerechnet ebenfalls in der TAZ - gefunden:
Als wäre die veröffentlichte Meinung in diesem Land immer noch beleidigt, dass sie Bushido einst auf den Leim ging, ihn zum Vorzeigemigranten kürte und als A-Prominenten in ihre Klatschspalten aufnahm, reagiert sie nun umso eingeschnappter. Allen voran die Politik, die vor nicht langer Zeit den Bundestagspraktikanten Bushido gern langfristig in ihren Schoß aufgenommen hätte.
Jene, die mit dem Rapper noch eine Rechnung offen zu haben glauben, sollten eines beherzigen: Es trägt den Hautgout des schlechten Verlierers, wenn man für die Pannen in der Selbstinszenierung und Image-Vergoldung denjenigen verantwortlich macht, dessen man sich dazu bedienen wollte.

Muss einem Bushido nun etwa leidtun? Keineswegs: Gewaltphantasien gegen reale Personen - mögen sie sich auch in der Sphäre der Kunst ereignen - kann man mit Fug und Recht aus moralischen und ästhetischen Gründen ablehnen. Zudem war unschwer vorauszusehen, dass die verbalaggressiven Zeilen des Rappers die mitten im Sommerloch und nur zwei Monate vor der Bundestagswahl besonders betriebsfreudige Empörungsmaschinerie sogleich in Gang setzen würden. Wenn Bushido es nicht sogar auf einen Skandal und seine damit verbundene Rückkehr ins Tagesgespräch angelegt hat, was wohl keine allzu abenteuerliche Unterstellung ist.

Nein: In dieser Farce, die in leicht abweichender Bearbeitung schon viel zu oft auf der öffentlichen Bühne zu sehen war, gibt es keine Opfer. Man fühlt jedoch allenthalben Unaufrichtigkeit - und ist verstimmt.

Noricus


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