30. Dezember 2013

Neues vom Fall Gurlitt: Ein Gedankensplitter zu einer Entmündigung im Rechtsstaat.


­Da inzwischen selbst einige meiner Mitautoren Probleme oder zumindest Fragezeichen mit meiner Sicht des Rechtsstaates geäußert haben, möchte ich diesem Gedankensplitter ein paar Worte vorneweg stellen: Der verfasste Rechtsstaat ist das größte was mehr als zweitausend Jahre Staatsphilosophie hervorgebracht haben, er ist (auch ohne Trademark Mutti) absolut alternativlos und jeder, der nicht in einem solchen leben möchte sollte sich nach meinem Dafürhalten auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen. Aber gerade als glühender Verfechter dieses Prinzips, dieser Idee und dieses Ideals, ist es umso wichtiger die Unterschiede zu sehen zwischen der Idealvorstellung und der tatsächlichen Umsetzung des selben. Ein Rechtsstaat wird nicht nur von denen bedroht, die ihn rundheraus ablehnen (Extremisten, Chaoten oder religiöse Spinner), er wird ebenso von innen heraus bedroht von Leuten die vorgeben auf seinem Boden zu stehen und tatsächlich nur ihre eigenen Vorstellungen von gut und richtig durchzusetzen trachten. Wenn ich meine Kritik am „real existierenden Rechtsstaat“ zu Worte bringe, dann nicht um das Prinzip in Frage zu stellen oder den Rechtsstaat abschaffen zu wollen, sondern aus dem tief verwurzelten Wunsch heraus das der Rechtsstaat sich dem Ideal annähere, der er vorgibt zu sein. Man muss sich nicht mit dem zufrieden geben, was  real existiert, man kann kritisieren, verbessern, ändern. Und wenn ich mich über den Bananenstaat BRD auslasse, dann nicht um die BRD oder die zugrunde liegende Verfassung in Frage zu stellen, sondern diejenigen anzuprangern, die völlig konträr zu eben jener Verfassung staatliche Gewalt ausüben oder auszuüben trachten, die in einem tatsächlichen Bananenstaat an der Tagesordnung wäre. Es darf uns nicht genügen, dass wir „meistens“ keine Bananenrepublik sind, es muss an jedem einzelnen Tage keine staatliche Gewalt geben, die dafür qualifizierte. Es genügt nicht, dass an einem Tag tausendmal ein gerechtes Urteil gesprochen wird, wenn nur ein ungerechtes gesprochen wird. 
 
Der Anlass meines Artikels ist diesmal etwas ungewöhnlich, es ist eine Entmündigung. Oh, pardon, politisch korrekt heißt das heute in Amtsdeutsch Betreuung, aber genauso wenig wie aus dem Gummiknüppel ein possierliches Werkzeug wird, weil man es euphemistisch zum Einsatzstock erklärt, ändert die Umbenennung etwas daran was der staatliche Akt der Entmündigung ist: Es ist das ultimative Aberkennen des Rechtes frei über sich und sein Schicksal entscheiden zu können, es ist in der Wirkung schlimmer als ins Gefängnis zu kommen und wird in seiner Konsequenz und Wirkung allenfalls noch von einer Tötung übertroffen, der aber wenigstens ein eindeutiges Verbot im Grundgesetz gegenübersteht.
Wer sich einem nicht gewünschten Betreuungsverfahren gegenübersieht, wird schnell feststellen, dass die üblichen Schutzmechanismen des Rechtsstaates für ihn nicht mehr gelten, während in einem normalen juristischen Verfahren ein Urteil immer nur an ein Gesetz und eine Handlung gebunden sein muss („keine Strafverfolgung ohne Gesetz“), so kommt es im Betreuungsverfahren auf subjektive Einschätzungen des Zustandes eines Menschen an. Und da interessiert es auch nicht besonders, dass der zu Betreuende vielleicht ganz anderer Meinung ist, denn diese andere Meinung kann gerne als Indiz herhalten, dass jemand Betreuung braucht. Wer sich mal mit seinem Arzt gestritten hat, der wird feststellen, dass man sehr schnell sehr unterschiedlicher Meinung über den eigenen Zustand sein kann. Nur was im normalen Alltag allenfalls dazu führt, dass man keinen gelben Schein bekommt oder ein bestimmtes Medikament nicht kaufen darf, führt in einem Betreuungsverfahren zum Verlust der eigenen Entscheidungsfähigkeit und damit, wie ich meine, zu einem Verlust eines Teiles des Mensch-Seins.
Man muss sich nur einmal die Ohnmacht vorstellen, die jemand erleben muss, der ein solches Verfahren gegen seinen Willen erleben muss. Nicht nur die Ohnmacht nichts falsch gemacht zu haben und dennoch massiver bestraft zu werden als jeder Gewaltkriminelle, auch die Ohnmacht sich jeden Tag anhören zu müssen, dass das ja nur zum Besten des Betreffenden sei. Wer unter diesen Umständen tatsächlich seine Sinne beieinander behält, dem muss man zu seinem festen Charakter beglückwünschen.
Nun ist das alles sehr theoretisch und man kann sich fragen was das Ganze nun mit Gedanken zum Rechtsstaat zu tun haben soll. Die Antwort ist ein Name: Cornelius Gurlitt.
Cornelius Gurlitt ist der „Kunstsammler“ bei dem vor einiger Zeit einige Kunstwerke durch die Staatsanwaltschaft „aufgefunden“ wurden (obschon diese vorher niemand vermisst hatte). Und weil man schon mal da war, hat man die Bilder halt mitgenommen und inzwischen bemüßigt sich der bayrische Justizminister an diese Bilder mit nicht nur fragwürdigen sondern mit Methoden die einem Schurkenstaat gut zu Gesicht stünden den Herrn um seine Bilder zu erleichtern. Ich habe zu diesem skandalösen Vorgehen schon einen Artikel geschrieben.
Ich schrieb dort „Aber wir wären nicht in der deutschen Politik, wenn man nicht noch einen drauf setzen könnte.“ Und habe dann einiges zu diesem „Justizminister“ geschrieben. Aber ich muss zugeben, ich habe damals nicht die Phantasie besessen mir vorzustellen, dass das noch nicht das Ende der Fahnenstange war. Es geht inzwischen weiter. Denn das Amtsgericht München hat bekannt gegeben, dass es Cornelius Gurlitt auf Antrag von Ärzten unter Betreuung gestellt hat. Vulgo, es hat ihn vorläufig entmündigt.
Als ich das gelesen habe war ich erst einmal eine ganze Weile sprachlos. Ich habe es gegoogelt, weil ich es mir einfach nicht vorstellen konnte. Aber es war keine Zeitungsente, der Artikel ist an diversen Stellen zu finden.
Klar, wird man jetzt einwenden, kann ja alles Zufall sein. Alles andere wäre ja auch in unserem Lande undenkbar. Vielleicht braucht der Mann ja „Betreuung“. Kann ja alles seine Ordnung haben. Nun, ein arger Zufall ist es schon, dass es gerade jetzt zu einer Zwangsbetreuung kommt. Zwangsbetreuung ? Ja. Er hat den Antrag nicht selber gestellt und das sagt schon eine ganze Menge aus, denn das Procedere ist deutlich einfacher, wenn jemand einen solchen Antrag selber stellt. Hat er aber nicht. Und ein Gutachten gibt es auch nicht, sonst würde das Gericht nicht darauf bestehen, dass diese „jetzt schnellstmöglich eingeholt werden“.
Nun sollte das ganze seine Richtigkeit haben, aber ich muss sagen, es macht mich doppelt und dreifach nervös. Zum einen daher, weil das ganze Entmündigungsprocedere schon für sich eine fragwürdige Sache ist. Es ist irgendwo noch einzusehen, einen Menschen auch gegen seinen Willen „zu betreuen“, wenn der Betreffende sich oder andere gefährdet. Aus der Psychiatrie ist derlei bekannt, auch wenn das dort weniger unter Entmündigung subsummiert wird, als darunter einen Menschen auch gegen seinen Willen einzuweisen. Aber die Gefährdung von sich oder anderen ist schon eine sehr hohe Hürde und ich denke die wenigsten, die unter Betreuung fallen, stellen für sich oder andere eine Gefahr dar. Ich kenne Cornelius Gurlitt nicht, aber aus dem wenigen was er in Interviews gesagt hat und was sonst über ihn berichtet wurde, scheint der Mann nicht in diese Kategorie zu fallen. Schlimmer noch finde ich aber, dass jemand, der gerade noch dafür bekannt wurde mit dem Staate eher auf Kriegsfuß zu stehen von eben jenem nun entmündigt wird und obendrein einen staatlichen Betreuer verpasst bekommt.
Ich darf mal folgende Wette machen: Die Betreuung von Herrn Gurlitt wird in seinem Namen eine ganz salomonische Lösung für die Werke finden. Sein explizit und laut erklärter Wille, dass er die Werke zurück haben will, wird dabei als Altersstarrsinn verklärt werden. Vielleicht gibt man den Werken einen Titel wie „Cornelius Gurlitt Sammlung“, damit kann er doch zufrieden sein ? Und selbst wenn so etwas ganz so dreistes ausbleiben würde, wie wahrscheinlich ist es, dass der Betreuer erst einmal rechtliche Schritte gegen den Staat Bayern einläutet und die Bilder schnellstmöglich zurückverlangt, was vermutlich im Moment angebracht wäre?
Und das Beste ist, wenn die Bilder erst „verschenkt“ sind, kann Gurlitt dagegen nicht einmal klagen, selbst wenn er jemals aus dieser Betreuung herauskäme. Hat alles seine Ordnung. Gustl Mollath hat sieben Jahre in der Psychiatrie verbracht, bis die schiere Menge an Verfahrensfehlern seine Entlassung erzwang. Die Entscheidungen die in dieser Zeit für ihn getroffen wurden sind unabänderlich. Das ist bei Cornelius Gurlitt nicht anders, nur das er vermutlich keine sieben Jahre Zeit hat.
Mir wird angst und bange wenn ich das lese. Die unglaubliche Ohnmacht, die jemand empfinden muss, der sich dieser staatlichen Maschinerie gegenübersieht, ist überwältigend. Der Mann ist formal stinkreich, aber sein ganzes Geld kann ihn  nicht retten. Ich frage mich wirklich, wem das Geld zufallen wird, denn ein Mensch unter Betreuung wird sicher nicht eine Milliarde Euro ausgeben dürfen. Ich vermute es wird an den Staat fallen.

Und wenn Sie jetzt eine Pointe oder Forderung erwarten, lieber Leser, dann muss ich Sie enttäuschen: Ich habe keine. Ich bin eher ratlos. Mir fehlen die Beweise einen Skandal zu belegen (oder einen der noch größer wäre, als der, der schon vorher gewesen ist). Aber alleine der Schatten, der jetzt auf der Sache liegt, macht doch sehr nervös. Mich zumindest. Ist es von einem Justizminister, der offen gegen den Rechtsstaat opponiert so weit zu einem Gericht das einer Entmündigung zustimmt, weil der Betreffende sein Eigentum nicht hergeben will? Es ist sicher ein Weg, aber ist der so weit? Vor einigen Monaten hätte ich mir auch nicht vorstellen können, dass ein bayrischer Staatsanwalt Kunstwerke beschlagnahmt ohne einen Rechtsgrund dafür zu haben. Oder das ein Richter einräumt, dass er das zentrale Dokument der Verteidigung nicht einmal gelesen hat. Ich kann und will mir nicht im Stile einer Verschwörungstheorie vorstellen, dass jemand hier aus politischen Gründen seiner Mündigkeit beraubt wird. Es darf nicht sein. Aber der Schluss, dass etwas nicht sein kann, weil es nicht sein darf, ist oftmals nicht richtig. Wie dem auch immer genau sei, ich biete die Wette an, dass der staatliche Betreuer eher am Interesse des Staates orientieren wird. Wer immer mir widersprechen will, darf das gerne tun, wir werden sehen, wer Recht behält.


Llarian


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